Nachtgedanken

Pilgerbegleitung

von Katja Härle

27. April 2018

Noch ist es nicht ganz Nacht, es ist erst 21:35 Uhr. Um 22 Uhr herrscht hier aber Nachtruhe. Für mich Nachteule ist das eher mitten am Tag. Und so gehen meine Gedanken auf Wanderschaft, wenn mein Körper schon ruhen „muss“.

Gestern die lange Anreise war erkenntnisreich. Ganz durch mit den Erkenntnissen und was die nun bedeuten, bin ich damit allerdings noch nicht.

Die anfängliche Gelassenheit wegen viel Zeit hatte sich gestern spätestens in Stansted verflüchtigt. Alle drei Flüge hatten Verzögerungen. Von München nach Köln war das kein großes Thema, weil ich dort nur das Gate wechseln musste und das war eine Sache von wenigen Minuten. In Stansted bedeuteten die anstatt 1,5 h nur 1 h Zeit für Passkontrolle, Rucksack einsammeln, erneut aufgeben, wieder durch die Sicherheitsschleuse bis zum Boarding für mich Stress. Typisch! Wenn etwas nicht nach Plan läuft… Es war viel los bei der Passkontrolle und auch an der Sicherheitsschleuse, aber einerseits ging es dann doch flott durch und andererseits wurden just als ich kam, mehrere Schleusen zusätzlich geöffnet, so dass ich schnell durchkam. Also alles gut. Wieso vertraue ich nicht einfach? Und dann lade ich den Müll auch noch undankbar bei Freunden ab, die mir ohnehin nicht helfen können. Wozu? Kann ich belastende Situationen – dass sie belastend sind, ist bei dem Beispiel schon das Merkwürdige – schlecht aushalten, schlecht alleine aushalten? Ohne zu murren? Ohne Dampf abzulassen? Und wieso bin ich bei solchen Dingen immer schnell angespannt? Von Gelassenheit weit weg würde ich sagen.

Das mit der Gelassenheit ist tatsächlich einer meiner ungelösten Themen. Wie werde ich gelassener, entspannter? In dem ich blind vertraue? Gut, blind ist vermutlich nicht das richtige Wort, mir fällt gerade kein besseres ein. Aber ja, Vertrauen wäre mal ein guter Anfang. Nur wie verträgt sich das mit sehendem Auge ins Verderben rennen? Bei manchen Dingen kann man das Ergebnis einer Situation ja noch beeinflussen. Also, wie passt das zum Vertrauen, dass sich alles zum Guten wendet oder eben doch noch hinhaut?

Und dann war da noch die Sache mit der tretenden Passagierin. Die hinter mir sitzende ältere Dame auf dem letzten Flug von Stansted nach Asturien hat immer wieder mit etwas – ich vermute mit ihren Füßen und/ oder Knien – in meine Rückenlehne geboxt, getreten, dagegen gedrückt. Ich habe mich zwei Mal umgedreht, um herauszufinden, was sie da eigentlich macht. Mal hatte sie die Augen zu. Mal konnte ich nichts wirklich erkennen. Mir ist schleierhaft, was sie getan hat, weil so groß war sie nicht, dass sie mit ihren Knien an meine Rückenlehne reichte. Aber auch egal. Da die Boxtritte nur sporadisch, will heißen nicht permanent aber dennoch über den ganzen Flug kamen, hätte ich eigentlich sagen wollen und sollen, sie möge bitte damit aufhören. Mit was auch immer. Aber ich hab’s nicht getan. Wieso nicht? Immer wieder kommen solche Situationen vor, in denen ich mich nicht für mich einsetzen kann. Vor mich hinmaulen, etwas ins Unbestimmte raunzen, darin bin ich gut, aber wenn es direkt an eine Person zu sagen wäre, Fehlanzeige. Und das ist keine Ausnahme. Abgrenzung, d.h. Grenzen setzen, ist offenbar keines meiner Steckenpferde. Mag manche an der Stelle wundern. Denn, wenn ich direkt angegriffen werde – also verbal – haue ich durchaus mal was raus. Aber wenn die Aktivität unterschwellig, subtil und daher nicht offen gegen mich geht, und zumeist wahrscheinlich auch dem anderen gar nicht klar ist, dass das übergriffig oder für mich nicht ok ist, kann ich selten eine Grenze ziehen oder auch nur aufzeigen.

Mal sehen, welche Situationen der Camino mir noch bietet, in denen ich eines dieser Themen bearbeiten darf…..



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