Das Problem mit dem Recht-haben-Wollen – Wie uns unsere Sichtweisen begrenzen

27. Mai 2024

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In dieser Episode erfährst Du, warum wir oft darauf bestehen, recht zu haben, und wie diese Haltung zu Konflikten und Stress führt. Durch meine Metapher der Kugel und einer prägnanten Impulsgeschichte von den Blinden und dem Elefanten eröffne ich Dir eine vielleicht neue Sichtweise, wie Du durch das Verständnis unterschiedlicher Perspektiven mehr Akzeptanz und Offenheit in Dein Leben bringen kannst.
Ich zeige Dir auf, wie Du dadurch ein tieferes Verständnis für die Vielschichtigkeit der Realität gewinnst und wie Du die Sichtweisen anderer als Bereicherung und Horizonterweiterung betrachten kannst.
Statt Recht-haben-Wollen und den Stress, die eigene Sichtweise zu verteidigen, erreichst Du mehr Gelassenheit im Umgang mit anderen Meinungen. Wäre das nicht ein Gewinn?

 

 

Wenn Du lieber liest, statt Dir die Audio anzuhören, dann findest Du hier die Shownotes:

 

In der heutigen Podcast-Folge geht es um das ewige Recht-haben-Wollen.

Vielleicht kennst Du das auch: Du unterhältst Dich mit jemandem oder diskutierst im Job über Dinge, bei denen es darum geht, eine gemeinsame Lösung zu finden, und ihr kommt scheinbar überhaupt nicht zusammen. Ihr habt völlig unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen, und jeder will auf seinem Standpunkt beharren. Kennst Du das? Ich kenne das sehr gut. Zumindest hat mich das eine lange Zeit meines Lebens begleitet.

 

Woher kommt das eigentlich, dieses „Recht-haben-Wollen“? 

Zum einen, weil wir total überzeugt sind, dass unsere Sichtweise richtig ist, aber auch, weil wir oft ganz schön unsicher sind. Bei mir war es ein tiefes Gefühl, dass, wenn ich Dir recht gebe, ich gleichzeitig unrecht haben muss und dann dumm oder unwissend oder nicht imstande bin, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Und das zu denken, fühlt sich wirklich nicht gut an. Es fällt mir auch heute noch nicht leicht, doch mittlerweile erkenne ich darin eine Illusion, nämlich die des Entweder-Oders: Entweder habe ich recht oder Du.

 

Eine neue Perspektive: Die Metapher der Kugel

Ich möchte Dir ein Bild anbieten, das mir unglaublich geholfen hat, mich vom „ewigen Recht-haben-Wollen“ zu lösen.
Stell Dir vor, alle Menschen auf dieser Welt stünden um eine riesengroße Kugel. Diese Kugel hat eine Oberfläche, die sehr unterschiedlich ist: bunt, einfarbig, durchsichtig, metallisch glänzend, hart, kalt, eckig, kantig, weich, kuschelig, kratzig usw. Alles ist möglich und je nach Perspektive sieht man etwas anderes. Und ich stehe auf der einen Seite der Kugel und Du auf der anderen.

Nun beschreibe ich Dir aufgrund meiner Perspektive, wie diese Kugel meiner Meinung nach ist. Ich sage zum Beispiel: „Meine Kugel ist rot und schillernd und hat zum Teil eine glatte und kantige Oberfläche. Dann geht es über in eine grasähnliche Oberfläche, die weich und flauschig ist“. Daraufhin sagst Du vielleicht: „So ein Blödsinn! Meine Kugel ist wie Holz strukturiert, warm und gleichzeitig rau.“ Beide reden wir von derselben Kugel und dennoch meinen wir, dass dem nicht sein kann. Denn Du kannst nicht von derselben Kugel sprechen wie ich, denn Deine sieht völlig anders aus. Einer von uns muss also im Unrecht sein. Doch tatsächlich sehen wir beide jeweils nur einen Teil der Kugel. Wir sehen nur einen Ausschnitt. In meinem Bild haben wir also beide recht und so ist es mit vielen Dingen in unserem Leben.
Das mag die folgende Impulsgeschichte noch prägnanter darstellen:

 

Alles Ansichtssache? Die Geschichte von den Blinden und dem Elefanten

Es waren einmal fünf blinde Gelehrte, die von ihrem König auf eine Reise geschickt wurden, um herauszufinden, was ein Elefant ist. In Indien angekommen, wurden sie von Helfern zu einem Elefanten geführt. Die Gelehrten standen um das Tier herum und versuchten, durch Tasten ein Bild von dem Elefanten zu machen.
Als sie zurück zu ihrem König kamen, sollten sie ihm berichten. Der erste Gelehrte, der den Rüssel betastet hatte, sagte: „Ein Elefant ist wie ein langer Arm.“ Der zweite, der das Ohr ertastet hatte, sagte: „Nein, ein Elefant ist wie ein großer Fächer.“ Der dritte, der ein Bein berührt hatte, sagte: „Aber nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule.“ Der vierte, der den Schwanz ertastet hatte, sagte: „Ein Elefant ist wie eine kleine Strippe mit ein paar Haaren am Ende.“ Und der fünfte Gelehrte, der den Rumpf des Tieres berührt hatte, sagte: „Ein Elefant ist wie eine riesige Masse mit Rundungen und ein paar Borsten.“
Nach diesen widersprüchlichen Äußerungen fürchteten die Gelehrten den Zorn des Königs. Doch der König lächelte weise und sagte: „Ich danke euch, denn ich weiß nun, was ein Elefant ist. Ein Elefant ist ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein langer Arm ist, mit Ohren, die wie Fächer sind, mit Beinen, die wie starke Säulen sind, mit einem Schwanz, der einer kleinen Strippe mit ein paar Haaren daran gleicht, und mit einem Rumpf, der wie eine große Masse mit Rundungen und ein paar Borsten ist.“
Die Gelehrten senkten beschämt ihre Köpfe, nachdem sie erkannten, dass jeder von ihnen nur einen Teil des Elefanten ertastet hatte.

(aus Indien)

 

Die Geschichte verdeutlicht, dass wir oft nur eine sehr beschränkte Sicht auf die Realität haben.
Jeder Gelehrte hatte Recht aus seiner eigenen Perspektive, aber keiner von ihnen hatte das vollständige Bild des Elefanten erfasst. Diese Geschichte veranschaulicht die Begrenztheit menschlicher Wahrnehmung und erinnert uns daran, dass eben diese oft von unseren persönlichen Erfahrungen und Perspektiven geprägt ist und daher nur einen begrenzten Ausschnitt der Realität darstellt.

 

Was wäre, wenn wir beide recht hätten?

Anders als die blinden Gelehrten sind viele von uns sehend und glauben deshalb, dass das, was sie sehen und erfahren, der Realität entspricht. Aber jeder von uns hat Filtersysteme, denn das, was wir wahrnehmen, ist von unseren Erfahrungen geprägt. Den sogenannten objektiven Standpunkt gibt es – aus meiner Sicht – nicht. Wir blicken auf alles durch unsere Brille, wie wir die Welt sehen, was wir glauben, was wir nicht glauben können usw. Ganz oft ist es nämlich ähnlich wie bei den Blinden: Wir sind zu sehr davon überzeugt, dass das, was wir sehen, der gesamten Realität entspricht.
Sicher, es gibt Dinge, über die man nicht wirklich streiten kann: Eins plus eins ist gleich zwei.
Aber die allermeisten Dinge in unserem Leben sind nunmal Standpunkte und Sichtweisen. Wir betrachten, interpretieren und bewerten die Dinge unterschiedlich. Und wer dies anerkennen kann, erlebt nicht nur eine Erleichterung (ständig recht-haben-wollen ist schon stressig, finde ich) sondern gewinnt sogar etwas Erstaunliches hinzu:

 

Durch Akzeptanz und Offenheit den eigenen Horizont erweitern

Ich habe in meinem Leben oft erfahren, dass Recht-haben-Wollen viel Stress und Druck mit sich bringt. Gespräche mit anderen Menschen führten so oft zu Konflikten, eben wenn beide Seiten darauf bestehen, recht zu haben. Die Lehre aus der Geschichte des Elefanten und der blinden Gelehrten ist, dass wir alle eine beschränkte Sicht auf die Dinge haben. Wenn ich also in einem Gespräch die innere Haltung bewahren kann, neugierig auf die Sichtweise des anderen zu sein, kann ich neue Perspektiven gewinnen und so meinen eigenen Horizont erweitern. Welcher interessante Aspekt ist in der Sichtweise des anderen? Wie könnte eine Lösung aussehen, die unserer beider Perspektiven berücksichtigt? Und welche Ansichten gibt es sogar darüber hinaus, also wo haben wir beide ggf. blinde Flecken?
Diese und ähnliche Fragen regen uns an, nach ganz neuen Lösungen zu suchen. Sie lassen uns wachsen und den eigenen – beschränkten – Horizont erweitern.

 

Weniger Stress? Dann lass die Vorstellung von richtig und falsch los

Mir hat die Vorstellung der Kugel sehr geholfen, mich davon zu lösen, dass es ein absolutes Richtig oder Falsch gibt.
Ich hoffe, ich konnte Dir damit ebenfalls näherbringen, dass Recht-haben-Wollen antiquiert ist und auf den Sperrmüll gehört.
Es bedeutet oft, dass eine tiefe Unsicherheit in uns liegt, die angeschaut werden will.
Wenn wir anerkennen, dass wir alle nur einen Teil der Realität sehen, können wir gelassener mit anderen Standpunkten umgehen und damit deutlich stressfreier leben. Die ganze Anspannung fällt weg, nach Argumenten zu suchen, die die eigene Meinung unterfüttert. Der innere Druck wird unnötig, wenn wir nicht mehr jedes Gegenargument entkräften müssen.
Und im Übrigen wird dadurch unsere eigene Sichtweise offener, wenn wir neugierig sind auf die Meinung andere und mit der freigewordenen Energie (wie sind ja nicht mehr mit „Streiten“ beschäftigt 🙂 ) uns eher darauf konzentrieren, nach einer gemeinsamen Lösungen zu schauen.

 

Ich wünsche Dir, dass Du neugierig auf die Sichtweisen anderer Menschen bist, denn in jeder anderen Sichtweise liegt ein Schatz verborgen, der Deinen Horizont erweitert und Dich wachsen lässt.
Wir müssen nicht alles annehmen, aber es ist wichtig, nicht alles per se abzulehnen, nur weil es nicht unserer eigenen Sichtweise entspricht.

In diesem Sinne, hab‘ einen anregenden und vor allem stressfreien Tag.