Benediktbeuern – Kochel am See (ca. 9,5 km)
Tja, jeder Weg ist anders und hat eben andere Lehren für mich im Gepäck.
Ich sitze im Zug von Kochel a. S. zurück nach München, nach Hause. Abbruch nach 2,5 Lauftagen. Was ist passiert?
Eigentlich nichts Spektakuläres, nichts Dramatisches oder Wildes. Letztlich hat sich das bestätigt, was sich seit ein paar Tagen angekündigt und immer wieder gezeigt hatte: mein Körper will gerade nicht. Schon vor Abmarsch, noch zu Hause, habe ich mir überlegt, mein Vorhaben zu verschieben. Es war nur ein kurzer Augenblick, ein sanfter Impuls, und dieser sollte recht behalten. Schon am ersten Tag spürte ich diese bleiernen Schwere in meinen Knochen. Gegen frühen Nachmittag bekam ich dann auch noch Kopfschmerzen, nicht schlimm, aber dennoch zusätzlich lähmend. Mein Knie war zu spüren, nicht sehr schmerzhaft, aber enervierend. Alles Anzeichen von „ich will nicht“.
Gestern dann den ganzen Tag Regen, genervt von zu viel Asphalt und Verkehr. Heute trocken von oben, aber kalt und windig. Das Wetter spannenderweise ist dabei überhaupt nicht das Problem. Weder gestern noch heute. Nein. Es ist schlicht der Unwille meines Körpers. Heute Morgen hatte ich schon leichte Übelkeit (wieso auch immer), meine Beinrückseite zieht, als hätte ich einen ziemlich verspannten Muskel oder verkürzte Sehnen, was ich definitiv nicht habe, mein Schultergürtel schmerzt verspannt und wieder diese bleierne Schwere. Ich schlappe wenig beschwingt sondern eher tranceartig über den Weg. Gestern Abend schon dachte ich kurz ans Abbrechen. Dann zieht ein Zug heute auf dem Weg nach Kochel an mir vorbei mit der Aufschrift ‚München Hbf‘ – sofort ist da eine Stimme in mir „nimm mich mit“.
Zeichen also genug. Ich will nicht gehen. Ich will einfach dieses Mal nicht. Mein Körper will nicht und weder mein Geist noch mein Herz vermag, dem etwas entgegenzusetzen. Am Ortseingang von Kochel direkt am Bahnhof steht erneut ein Zug mit Ziel München. Und dann ist die Entscheidung gefällt: ich höre auf.
Und dabei ist das Teilstück von Benediktbeuern bis Kochel wirklich schön zu gehen. Es führt mich durch eine Moorlandschaft, landschaftlich herrlich zu durchwandern, trotz dem ungemütlichen, spätherbstlichen Wetter, über Schotter-, Kies- und lehmige Wege gelenkschonend zu gehen und so weit weg von der Straße, dass auch enervierender Verkehrslärm dieses Mal die Idylle nicht stört. Der einzige Aspekt, der zu stören scheint, bin ich. Und das meine ich nicht einmal dramatisch oder frustriert. Es ist einfach so. Und ich erkenne es an und akzeptiere, dass es dieses Mal genau darum geht.
Am Morgen. Allein mein Gesichtsausdruck versprüht den Charme von „ich will nicht“.
Ich passiere das Kloster von Benediktbeuern.
Auf den Bergen liegt schon Schnee. Keine besonders motivierende Aussicht, nachdem ich einen solchen auf dem Weg zum Walchensee passieren muss.
Moorlandschaft.
Und so endet dieser Weg bereits vorzeitig. Dabei war er mit 5 Lauftagen ohnehin nie üppig bemessen.
Zurückkehrend auf mein Einstiegsthema des ersten Tages, Sehnsucht und deren Irrwege, kann ich abschließend bemerken, dass uns Sehnsucht tatsächlich auf Irrwege führen kann. Insbesondere dann, wenn wir nicht erkennen, dass was anderes angezeigt ist. Alles hat seine Zeit und nur, weil es mir oft gut getan hat, heißt es nicht, dass es immer gut tut und richtig ist. Auch hier gilt, nichts ist per se richtig oder falsch. Führend in allen Dingen kann nur das sein, was sich jetzt (!) gut anfühlt. Nur weil mir pilgern Spaß macht und meine Leidenschaft ist, muss es nicht immer so sein. Jetzt und heute bevorzuge ich das gemütliche Zuhause, mein Bett, mich in meine Kissen und Decken zu vergraben und eben keinen Schritt vor den anderen zu setzen. Und nur wer im Stande ist, das anzuerkennen und danach zu handeln, ohne starre Leitlinien und Dogmen, hat eine Chance zufrieden zu sein und ein Leben zu führen, das sich gut und stimmig anfühlt.
In diesem Sinne kehre ich nun nach Hause zurück und freue mich auf meinen nächsten Weg. Wann und wie auch immer das sein wird.
Ultreia.