22.07.23 – Via Gebennensis 14. Tag

von Katja Härle

22. Juli 2023

Bourg-Argental – Clavas (ca. 1,5 km abseits des Weges) 19,3 km

Ich starte heute sehr gemütlich. Um 7:00 Uhr nehme ich mein Frühstück ein und verquatsche mich dabei mit Isabelle, meiner Gastgeberin. Es macht Spaß, sich mit ihr zu unterhalten, nicht nur, weil sie perfektes Deutsch spricht. Wir reden einfach über Gott und die Welt, Pilger und das Pilgern, Sprachen, die Beziehung Deutschland und Frankreich usw. Also komme ich tatsächlich erst um 8:30 Uhr los. Kein Problem für mich. Ich habe die Ruhe weg, verspricht die heutige Etappe doch eine kurze zu werden.

Ausblick Gîte d‘étape l‘Isba de la tortue, Isabelle Rainjonneau
Selfie mit Isabelle

Im Gespräch mit ihr fällt mir etwas auf: seit ich diesen Weg begonnen habe, begegnen mir – wenn auch oft nur in Erzählungen – Pilger, die den Weg scheinbar sehr gehetzt gehen. Immer wieder höre ich Geschichten, dass einige gerade den Weg in 40-60 km Etappen laufen. Der Niederländer von gestern, Jeroen, fällt für mich in dieselbe Liga. Schon während des Laufens gestern und auch heute bin ich überhaupt nicht mehr so beeindruckt von seiner Leistung. Wieso z.B. muss er sich den östlichsten Punkt Europas aussuchen, also den am weitesten entfernten Ort von Santiago, dort sogar extra hinfliegen, um von hier seinen Pilgerweg zu beginnen? Und dann geht er Etappenlängen von über 40 Kilometern und rühmt sich damit, dass er seinem Zeitplan bereits 1 Monat voraus ist. Hat dies noch etwas mit innerer Einkehr zu tun? Mit Pilgern im Sinne einer spirituellen Reise?

Über die anderen steht mir ja eigentlich kein Urteil zu. Vielmehr stelle ich mir die Fragen selbst. Seit Tagen schon begleitet mich ein Lied. Hier besingt Max Giesinger die ewige Flucht vor dem hier, die Flucht vor dem selbst, auf der Suche nach dem „Zuhause“. Ich fühle mich mehr als angesprochen. So sehr angesprochen, dass ich mich selber immer wieder frage, wieso mache ich das eigentlich? Vor was oder wem laufe ich weg? Laufe ich weg? Oder laufe ich hin zu etwas? Aber zu was laufe ich dann hin? Sehr viele Fragen schon am frühen Morgen, auf die ich keine Antwort finde. Was unterscheidet mich also von den Pilgern, die scheinbar über den Weg zu rennen scheinen? Sie wirken augenscheinlich getrieben, gehetzt, wirken wie auf der Flucht. Aber rennen sie vor etwas weg oder auf etwas zu? Oder geht es doch um etwas ganz anderes?

Fakt ist, der (Lebens- wie auch Pilger-)Weg zeichnet sich durch ein stetes Auf und Ab aus. So gut gelaunt und erfüllt ich durch ein überraschend bereicherndes und anregendes Gespräch nach einer guten Nacht gestartet bin, so ernüchtert bin ich am Nachmittag.

Das Laufen fällt mir heute nicht so leicht, obwohl die Strecke schön ist und größtenteils durch Wälder führt. Schon gestern war es problematisch für mich eine Unterkunft zu finden. Isabelle telefoniert, erreicht zum Teil niemand und bekommt dann eine hanebüchene Absage: in der Gîte d‘etape in Les Sétours, wo ich eigentlich stoppen wollte, ist der Wirt heute nicht willens, Pilger aufzunehmen. Grund: er hatte die ganze Woche eine Gruppe, die heute abgereist ist. Nach dem großen Putzaufwand, hat er dann erstmal keine Lust auf neue Gäste, auch für Pilger macht er da keine Ausnahme. Die nächste Möglichkeit liegt gut 1,5 km abseits des Weges. Die Gastgeberin ist nie erreichbar, ruft dann später allerdings Isabelle zurück: alles ok, ich könne kommen. Normal schickt die Dame eine Nachricht auf das Handy mit Instruktionen. Sie selbst wohnt nicht im Haus und kommt nur ab und an vorbei, z.B. um das Essen im Kühlschrank bereitzustellen. Meine an sie geschickte Nachricht bleibt allerdings unbeantwortet. Bis jetzt, 17:30 Uhr. Da bin ich schon seit 2,5 h in dem muffigen, alten Haus. Essen ist keines bereit gestellt. Dafür gibt es genug Bier und Cola im Kühlschrank und eine Packung Nudeln. Reicht doch. Trotzdem, so unwillkommen habe ich mich seit Anbeginn dieses Caminos noch nicht gefühlt. Und wie es aussieht, kommt heute auch keiner mehr hinzu, weder andere Pilger noch die Hausherrin. Ich bleibe also alleine.

Und wie ich das schreibe, kommt Monique – die Vermieterin – doch noch und bringt Essen. Für die Halbpension verlangt sie 38 Euro. Ich wünsche fast, sie wäre nicht mehr gekommen. Ein paar Nudeln, etwas Fleisch, Brot und Crème brûlée (davon allerdings 6, falls noch andere Pilger kommen) sehen nicht so aus, als wäre das 38 Euro wert.

Stopp, Katja!! Alles nur Bewertungen. Ich habe Essen, ein Dach über dem Kopf, ein Bett. Ich bin da, wo ich hinkommen wollte, habe Wäsche waschen können, sogar in einer Waschmaschine, kann morgen über einen etwa gleich langen Bypass zurück auf den Jakobsweg gelangen. Es entspricht nicht meinem Ästhetikempfinden, es ist nicht heimelig, kein/e sympathische/r Gastgeber/in und keine anderen Pilger. Na und? Heute mal eine andere Erfahrung. Entspricht nur nicht meiner Vorstellung. Das ist das Problem. Da hat die Realität natürlich wenig Raum für anderes.

Nachtrag:

Ich bin nicht alleine geblieben. Also auch da haben sich meine Erwartungen und Vorstellungen nicht erfüllt. Um 20:30 Uhr steht plötzlich eine 5-köpfige Familie (anzunehmen) aus 3 Erwachsenen und 2 Kindern/Teens vor der bereits verschlossenen Türe. Der Camino ist immer für Überraschungen gut

Schöner Weg
Heute viele Brücken
Saint-Sauveur-en-Rue passiere ich weit oberhalb
Ansonsten sehe ich nur vereinzelte Häuser
La Clavarine, die alte Klosterabtei von Clavas, in der sich die einfache und rustikale Pilgerunterkunft befindet, erreiche ich bereits um 14:45 Uhr
Etappe 14



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