Vorwort

Pilgerbegleitung

von Katja Härle

10. September 2017

Wieso mache ich das? Diese Frage stelle ich mir in der Tat selbst. Und zwar zum Vorhaben, den Jakobsweg zu gehen – ganze 769 km zu Fuß von St-Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostela.
Und dann auch noch ein Blog darüber? Was ist denn jetzt in sie gefahren, mögen manche sich wundern – und auch hier sind sie nicht alleine damit. Ich frage mich das auch.
Antworten, im Sinne von logisch nachvollziehbar, habe ich keine. Letztlich ist die Antwort auf beide Fragen dieselbe: ich hatte einfach das Gefühl, es zu müssen. Ja, sowas wie ein innerer Ruf.
Hape Kerkeling schreibt in seinem Buch von einem Gedicht, das kurz vor Nájera auf einer Plakatwand geschrieben stand:

„Warum tue ich mir den trockenen Staub in meinem Mund,
den Matsch an meinen schmerzenden Füßen,
den peitschenden Regen und die gleißende Sonne auf meiner Haut an?
Wegen der schönen Städte?
Wegen der Kirchen?
Wegen des Essens?
Wegen des Weins?
Nein. Weil ich gerufen wurde!“

Und so esoterisch das in manchen Ohren klingen mag, genau so ist es. Genau so ist es bei mir. Eben ein innerer Ruf.
Jetzt mach‘ ich das halt mal und schau‘ wie es mir dabei ergeht. Mehr Erwartungen sollte man bei diesem Vorhaben vielleicht auch gar nicht haben. Denn, es wird sowieso anders kommen und vermutlich auch sämtlich Gedachtes über den Haufen werfen. Ich habe also in der Tat keinerlei Ahnung, was genau mich erwartet.

Die Vorbereitungen sind ja dann auch schon alles andere als einfach und geradlinig.
Allein schon die Finanzierung des Vorhabens stand einige Tage auf der Kippe. Kurz sah es sogar so aus, als müsste ich alles abblasen. Tatsächlich aber war der Drang in mir, diesen Weg zu gehen, so stark, dass ich sogar immense finanzielle Einbußen in Kauf genommen hätte, nur um mein Vorhaben doch noch umzusetzen. Ich hätte also tatsächlich mein bislang so stark verteidigtes Sicherheitspolster aufgegeben. Der Jakobsweg lehrt mich damit bereits in den Vorbereitungen Ungeahntes über mich selbst.
Während eines „Probegangs“ von 25 km hatte ich mir eine Hühnerei große Blase gelaufen. Meine neuen Volllederwanderschuhe (jaaa, ich weiß, niemals neue Schuhe auf so einer langen Wanderung benutzen) sind augenscheinlich etwas hart zu mir, oder besser gesagt zu meiner linken Ferse. So beschloss ich meine Reise um weitere 4 Tage nach hinten zu schieben, um meinem Fuß die notwendige Heilung zukommen zu lassen und mir die Zeit zum Auffinden eines bei mir wirksamen Blasenprophylaxemittels einzuräumen. So teste ich nun in der kommenden Woche Körperpuder, um die Füße trocken zu  halten und dadurch Blasenentstehung zu vermeiden, Gehwohl Fußkrem, Socken über Socken und Tapen, Tapen, Tapen.

Faszinierend schon jetzt ist, was man während eines Fußmarsches von 20-30 km so ganz alleine mit sich an Erkenntnissen, Einsichten und Ideen haben kann. Während meines „Probegangs“ am vergangenen Dienstag kam mir zum Beispiel die Idee zum Erstellen dieses Blogs.
Zudem stellte sich die linke Körperseite als die schwächere heraus. Hier hatte ich meine Blase am Fuß, die Handschlaufe meines Nordic-Walkingstöcke scheuerte deutlich, mein Tinnitus im linken Ohr ließ mir auch wenig Ruhe. Und auch wenn ich am rechten Fuß einen Bänderriss hatte, so machte dieser mir erstaunlicherweise keine Beschwerden. Ich verfiel schnell in einen flotten Gang, naja eher schon in einen Galopp. Als nun aber die linke Ferse deutlich zu zwicken begann, bemerkte ich schnell, wenn ich langsamer ging, war der Schmerz erträglicher. Meine rechte Seite, die stärkere, hätte den Galopp bevorzugt. Erkenntnis: nur beide Seiten können ins Ziel kommen. Also muss die stärkere auf die schwächere Rücksicht nehmen. Es gilt also eine Balance zu finden. Schon immer versuchte ich, meine Stärken zu stärken und dabei meine Schwächen mit Füßen zu treten, mehr noch, sie am liebsten zu ignorieren, nicht als Teil von mir anzuerkennen. Oder sie am liebsten auszumerzen. Ja, den Schwächen den Garaus zu machen. Das war der Plan. Anschließend nur noch aus Stärken zu bestehen. Dass das nicht gelingen kann, mag einleuchten. Also bedeutet es wohl eher, die Schwächen zu integrieren und ihre liebevollen und nützlichen Seiten zu erkennen, anstatt sie zu bekämpfen. Das wird wohl Achtsamkeit fordern. Achtsamkeit darüber, nicht wieder in das alte Muster zu verfallen und die starke Seite führen zu lassen. Ich werde mich wohl in Geduld üben und vor allem meinen inneren Antrieb, meinen Ehrgeiz zurückstellen müssen. Sonst ist schneller Schluss, als mir lieb sein kann. Der Weg ist das Ziel. Und natürlich möchte ich in Santiago de Compostela einlaufen, zumindest mich innerlich wie ein Sieger fühlend. Aber Sieg über was? Über meinen inneren Schweinehund, den ewigen Antreiber, den Kritiker in mir? Beweisen will ich niemanden was, höchstens mir selbst. Und das ist das eigentliche Problem.

In diesem Sinne wünsche ich mir an der Stelle selbst und allen, die dasselbe Vorhaben planen:

Buen camino!



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