A Fonsagrada – Castroverde
(31,6 km)
Da es heute Morgen bereits nieselt, lasse ich mir bewusst Zeit, verlasse die Herberge erstmal Richtung Café/Bar, um mir ein Frühstück zu gönnen. Endlich mal eines im Stile des letzten Caminos: Café con leche, Zuma de naranja naturale y Neapolitana. Also Milchkaffee, frisch gepressten Orangensaft und ein Schokocroissant.
Aufbruch ist dann um 9:15 Uhr. Heute lasse ich es richtig gemütlich laufen und ich bin so froh, dass ich gestern meiner Intuition gefolgt bin und den tollen Tag bis zum Schluss ausgenutzt habe. Der Weg ist wieder ein stetes Auf und Ab, aber selten wirklich anstrengend und so kullre ich mehr dahin. Der Regen ist nicht schlimm, im doppelten Sinne. Erstens nieselt es eben meist „nur“ und zweitens ist alles so trüb und grau in grau, dass ich gut meinen Gedanken nachhängen kann.
Und die haben es heute in sich. Wieso denke ich immer noch, ohne Partner kann das Leben nicht erfüllt sein? Und stelle mir dabei ernsthaft die Frage, was genau (!) würde ein Partner meinem Leben hinzufügen (außer sich selbst natürlich;-), was ich nicht ohne ihn haben kann? Und es muss eine faktische, unumstößliche Antwort sein, also etwas, dass ich eben ohne ihn nicht erreichen, erleben, erfahren kann. Und die überraschende Antwort ist: nichts! Ich habe bereits alles bzw. nichts – auch nicht das Gefühl von Liebe – hängt davon ab, ob es nun einen Partner in meinem Leben gibt oder nicht. Keine Erfahrung ist schlechter oder besser, nur weil ich sie ohne einen Partner erlebe. Nur anders. Und das soll jetzt überhaupt nicht heißen, dass ich keinen Partner mehr will oder in einer Partnerschaft zu leben, unsinnig finde. Nein, das soll es nicht heißen. Das Leben kann mit dem richtigen Partner doppelt so viel Spaß machen. Ja, doppelt, d.h. ohne Partner einfach Spaß. Jemand sagte mir mal, ein Partner ist ein Glücksverstärker. Genau. Aber damit nun mal kein Glückserzeuger. Das muss ich schon selbst schaffen.
Nach der Mittagspause zeigt sich der Camino Primitivo wieder von seiner garstigen Seite. Es folgen einige Aufstiege, die unglaublich steil sind. Zwei davon gefühlt 90 Grad, tatsächlich wohl so 45-50 Grad, nicht übertrieben. Einen nennt man den Weg der Kröten. Ich kann es mir nur so erklären, hier kommt man mit dem Gesicht dem Weg so nahe wie eine Kröte. Bzw. man muss so tief in die Knie gehen und kriecht quasi beinahe auf allen Vieren nach oben, so schräg nach vorne gebeugt, unter anderem, weil das Gewicht des Rucksacks ganz gehörig bergab und damit in die falsche Richtung zieht, dass man nahezu den Weg küssen kann. Dabei fühlt es sich schon fast wie eine Gnade an, dass sich der Weg über Kuppen und Kurven nach oben schlängelt und man vor jeder selbigen inständig hofft, dass dies jetzt der letzte Anstieg war. Zigmal wird diese Hoffnung allerdings mit Blick hinter die Kurve oder Kuppe jäh zerschlagen, aber wenigstens hat man für wenige Sekunden die Hoffnung auf das baldige Ende. Ca. 10-15 Min geht es so aufwärts.
Trotzdem, bei all der Anstrengung, hat der Weg was ungemein Beruhigendes. So konzentriere ich mich nur noch auf meine Atmung und auf jeden einzelnen Schritt. Mehr gibt es nicht. Ein und Aus, Schritt für Schritt. Alles wird ruhig, der Kopf gibt Ruhe. So hat dies was sehr Meditatives für mich.
Ich habe mir heute mehrfach selbst die Frage gestellt, wieso mache ich das alles? Wieso letztes Jahr den Camino Frances und jetzt den Primitivo? Wieso? Was treibt mich? Oder vor was laufe ich davon? Oder suche ich was zu finden? Ich denke, die große Erkenntnis für mich auf dem Camino frances war, das Leben wieder zu finden bzw. was es heißt zu leben. Das heißt, nicht mehr groß zu planen sondern das Leben geschehen lassen und das eben Schritt für Schritt (in kurzen Worten mal an der Stelle ;-). Der Primitivo ist dabei mehr, glücklich zu sein mit mir und dem Leben, erfüllt zu sein, von dem, was ist, was ich bin und habe und mich nicht ständig im Mangel zu fühlen, etwas anders haben zu wollen. Und ja, ich denke gehen in dieser Form ist meine Art der Meditation, eins zu werden mit dem Hier und Jetzt. Und damit eben auch stundenlang durch Nieselregen zu laufen. Denn, genau das war es heute. Es hat nie aufgehört zu nieseln. Von 9:15 Uhr bis 18:15 Uhr – mit ca. 1 Stunde Pause dazwischen – bin ich durch Regen, Wind, Nebel gelaufen. Und voll zufrieden. Die heiße Dusche danach war ein Segen ;-D
Das ist vermutlich auch der Grund, wieso ich so viel und so lange laufe und ich vor allem die Einsamkeit auf dem Camino suche und deshalb auch am liebsten in den späten Nachmittags- und Abendstunden laufe. Da herrscht so viel Ruhe, welche auf mich ausstrahlt. Da wird Laufen zur Meditation, eben meiner Art von Meditation.