Hohenschäftlarn – Eurasburg (ca. 22 km)
Von Sehnsucht und Irrwegen, auf die sie uns führt.
Was bedeutet das Wort Sehnsucht überhaupt? Es bedeutet, dass man sich nach etwas sehnt, nach dem man süchtig ist. Und Sucht ist gemeinhin definiert als ein unangemessenes, überzogenes Bedürfnis nach etwas, dass, wenn es nicht bei uns oder verfügbar ist, wir an nichts anderes denken können als an diese Sache. In diesem Sinne könnte man sagen, eine Sehnsucht zu verspüren, ist nicht besonders gesund. Es führt uns aus dem Augenblick, aus dem Hier und Jetzt. Denn es lässt unsere Gedanken immer dorthin schweifen, wo sich das vermeintlich Glückverheißende befindet und das ist eben in dem Moment, wo wir uns danach sehnen, nicht hier und jetzt.
Was hat dies nun mit Irrwegen und vor allem mit dem Start meines Caminos zu tun?
Naja, auf Irrwegen führt uns die Sehnsucht zuweilen, weil wir geblendet sind und eben nicht im Hier und Jetzt verankert. Und so startete heute Morgen mein Camino mit einem Irrweg. Nachdem meine S-Bahn Verspätung hatte (in München ja nichts seltenes) war mein Anschluss-Bus in Hohenschäftlarn weg. Und so musste ich die knapp 3 km bis zum Kloster Schäftlarn ebenfalls bereits zu Fuß hinter mich bringen. Da ich pilgernd auf dem Jakobsweg unterwegs bin, sollte das ja kein Problem sein. Wäre da nicht die stellenweise miserable bzw. gar nicht vorhandene Beschilderung des Weges. Und so folge ich mitten im Wald einer der wenigen, offensichtlichen Beschilderung für Radfahrer direkt wieder auf die Hauptstraße. Weil ich mich nun aber nach ruhigen Wegen abseits von Straßen und Verkehr sehne, wollte ich der Hauptstraße nicht folgen und suchte einen Weg abseits. Und so fand ich mich wenig später im Dickicht und Unterholz wieder.
Kein Weg mehr zu sehen.
Der Fußweg zum Kloster Schäftlarn war mir also abhandengekommen und dafür steckte ich fast knöcheltief im Schlamm und sumpfigen Untergrund. Meine neuen Wanderschuhe sind damit wohl getauft: willkommen auf dem Camino.
Ja, ich habe mich schon sehr danach gesehnt, mich endlich wieder auf einen Weg zu begeben. Auf einen Jakobsweg. Nachdem dieses Jahr – wohl nicht nur für mich – gänzlich anders verlaufen war als gedacht, habe ich bis auf Impulswanderungen mit Klienten noch keinen Schritt auf einem Jakobsweg hinter mich gebracht. Und die Sehnsucht danach war groß. Mit mir alleine, das stundenlange Gehen, über mich und mein Leben zu sinnieren, mich neu zu sortieren, Entscheidungen zu treffen… So viel zu meiner Sehnsucht!
Und so stelle ich jetzt fest, dass das Laufen heute gar nicht leicht fällt, eher mühselig ist. Ja, ich schleppe mich geradezu müde, faul und träge dahin. Es klingt schlimmer, als es vielleicht ist, denn gehen tut mir schon gut. Das spüre ich. Zumindest glaube ich das. Mein linkes Knie ist dabei allerdings eine gute Achtsamkeitsübung. Seit einem Jahr habe ich mit diesem stetig Probleme. Also achte ich bei jedem Schritt, wie es meinem Knie geht und was es brauchen könnte, damit es ihm besser geht bzw. es gar nicht erst schmerzt.
Aber zurück zum Thema Irrwege:
Ist es also gleich ein Irrweg, nur weil es mal etwas ungemütlich wird? Nur weil die Füße mal im Matsch stecken? Ist es ein Irrweg, wenn man eingelaufene Bahnen verlässt und sich durch‘s Unterholz schlägt? Und das Knie weh tut, obwohl man das Pilgern und lange Gehen doch so sehr liebt? Bin ich also falsch gewickelt und merke es nicht?
Zugegeben, ich weiß es nicht.
Und wie hängt das alles mit Sehnsucht zusammen?
Nun ja. Ist das Gefühl der Sehnsucht die Sprache des Herzens? Führt sie mich also auf meinem Weg? Oder führt sie eben zu Abwegen oder Irrwegen, weil sie eher aus unstillbaren Bedürfnissen und Abhängigkeiten entspringt?
Auch hier muss ich eingestehen: ich weiß es nicht.
Ganz schön gewichtige Themen am frühen Morgen, am ersten Pilgertag seit ca. einem Jahr. Aber es sind Fragen, die mich immer wieder mal begleiten. Fragen, die für mich und meine Arbeit elementar sind.
Woher weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin, dass ich auf meinem Weg bin? Spürt man es immer? Ist es immer eindeutig?
Nein. Weder das eine noch das andere.
Ich nehme an, es ist ganz normal, dass man ab und an strauchelt, dass man Unsicherheiten spürt und sogar mal zweifelt. Und ich denke weiterhin, dass es normal und ok ist, auf Abwegen unterwegs zu sein. Eben gerade nicht den vorgespurten Straßen zu folgen, sondern sich auch mal einen eigenen Weg zu bahnen. Ja, auch wenn dieser durch Matsch und Gestrüpp führt.
Und so stehe ich dann auch nach ca. 45 min mit batzigen Schuhen vor dem Kloster Schäftlarn.
Ich weiß schon, wieso ich das Pilgern so liebe und warum ich es letztlich auch zu meinem Beruf gemacht habe, Menschen dieses Erleben nahe zu bringen. Jeder Jakobsweg ist wie eine ganz eigene Impulswanderung für mich. Überall gibt es Denkanstöße und Impulse, die mich in einen Prozess führen, der jetzt offenbar gerade dran ist.
Heute geht es also um Irrwege, oder vermeintliche Irrwege und Sehnsucht. Es geht um, seinem Herzen zu folgen und wie man es erkennt, dass man seinen Herzensweg geht. Und so passen heute auch viele der Sprüche des Weges zu diesem Tagesmotto:
Ein Kerzlein soll mir Erleuchtung bringen. Nun ja, schaden kann es ja auf jeden Fall nix.😊
Ansonsten ist der Weg nicht allzu gut beschildert. Denn die kleinen Wegmarkierung gehen im allgemeinen Schilderwald ab und an regelrecht unter. Grundsätzlich braucht’s gute Augen, weil die Aufkleber nur ca. 3 auf 7 cm messen.
Zum Glück bin ich geübt und meine Augen auf Scannen der Landschaft auf Wegzeichen trainiert.
Suchbild: findest du den gelben Pfeil samt Muschel?
Ansonsten geht es heute flach und viel entlang der Isar beschaulich dahin.
Merklich Herbst, obwohl es heute nach anfänglichem Regen nochmals sehr schön und warm ist.
Meine heutige Unterkunft. In Deutschland pilgert man ob der rar gesäten Pilgerherbergen doch eher mondän.