27.09.2023 – Leipzig nach Koblenz mit dem Zug, Koblenz-Stolzenfels – Alken 17,6 km
Ich mach’ mich ein letztes Mal für dieses Jahr auf den Weg; dieses Mal auf den Mosel-Camino. Dieser verläuft ca. 160 km zwischen Koblenz und Trier.
Auf dem Weg nach Koblenz: Nebel. Der Herbst ist nun endgültig da. Ich finde, Nebel markiert jedes Jahr die Wende. Den Jahreszeitenwechsel vom Sommer in den Herbst. Der Nebel macht es irgendwie endgültig: der Sommer ist vorbei. Mein Mosel-Camino startet also mit dem Herbst.
Und so ist auch das ein Anfang, den wir jedes Jahr wieder begehen. So wie ich als erfahrene Pilgerin auf den Mosel-Camino fahre, ist auch der Jahreszeitenwechsel immer wieder neu. Allzu oft meinen wir nämlich „Hab‘ ich schon erlebt.“ „Kenne ich bereits.“ „Da kenne ich mich aus.“ oder der Klassiker „Jedes Jahr/ Immer dasselbe.“ Nur stimmt das überhaupt? Kennen wir uns aus, nur weil wir gewisse Situationen schon mehrfach erlebt haben? Oder pressen wir vielmehr neue Erfahrungen in das Kleid des bereits Erlebten?
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
aus „Stufen“ von Hermann Hesse
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hesse meinte wohl vor allem tatsächlich Neues und Unbekanntes. Doch ist das – wenn wir ehrlich sind – nicht mit jedem Moment so? Denn kein Augenblick und keine Erfahrung ist wie der/ die andere. Kein Jakobsweg ist wie der vorherige. Bleiben wir gänzlich offen, ohne zu sehr unseren Erfahrungsschatz anzuwenden, erleben wir tatsächlich ständig Neues. Und natürlich will ich keinesfalls leugnen, dass wir aus Erfahrung klug werden (können!), dass wir unser Wissen anwenden sollten, daraus vor allem lernen sollten. Dabei jedem Augenblick frisch zu begegnen, ohne ihm zu sehr den Glauben des Bekannten aufzudrücken, ist die große Kunst, die es lohnt, sich immer wieder zu vergegenwärtigen.
Im Anfänger-Geist gibt es viele Möglichkeiten, im Geist des Experten nur wenige.
Shunryū Suzuki Roshi
In diesem Zen-Zitat liegt das ganze Universum, das sich uns eröffnet, wenn wir uns als stets Lernende begreifen, wenn wir anerkennen, dass selbst ein Experte immer noch viel mehr nicht weiß als weiß. Im Grunde sind und bleiben wir ewig Nicht-Wissende, denn selbst der belesenste Mensch hat mit seinem Wissen nur ein Staubkorn der Sahara allen Wissens aufgenommen. Es bleibt unendlich viel mehr übrig, das wir nicht wissen und (noch) nicht begreifen.
Bleiben wir also auch im Geiste unwissend. In ein Glas, das bereits voll „ist“, lässt sich nun mal nichts mehr einschenken. Betrachte ich mich stets als leeres Gefäß, kann ich weitere, neue und frische Erfahrungen aufnehmen und mich von ihnen berühren, überraschen und verzaubern lassen. Dann trägt jeder Moment den Zauber des Anfangs in sich.
Und so nehme ich diese Gedanken mit auf meinen Camino, der so neu ist wie der erste und wie alle, die ihm schon folgten.
Der Einstieg in den Mosel-Camino findet sich im Koblenzer Stadtteil Stolzenfels. Von dort geht’s gleich steil bergauf. So gewinne ich am Anfang der Tour erst einmal einen schönen Blick auf den Rhein. Koblenz liegt zwar sowohl an Rhein als auch an der Mosel, doch da der Hauptbahnhof südlich der Mosel liegt und ich gleich darauf den Bus nach Stolzenfels nehme, das ebenfalls südlich und direkt am Rhein liegt, kriege ich von der Mosel nichts mit.
Die Mosel sehe ich tatsächlich erst knapp einen Kilometer vor meinem heutigen Zielort Alken, also nach gut 16 Kilometern.
Und dazwischen liegt nur Wald – ein Traum 😉