Impuls 05: Unmittelbarkeit – was wir von Kindern lernen können

5. August 2024

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Mein neues Podcast-Kurzformat „Impuls“ soll dir als Inspiration dienen, in dir andere Sichtweisen und Perspektiven eröffnen dürfen und dich zum Nachdenken anregen. Schau, was sich mit dem Impuls in dir bewegt. Und vielleicht zeigen sich neue Wege und Ideen für dein Leben. Damit du kraftvoll und mutig deinen eigenen Weg gehen kannst.

Oder es war einfach nur eine schöne Geschichte 🙂

In diesem Impuls geht es um die Unmittelbarkeit des gegenwärtigen Moments.
Unser unterscheidender Geist, der jede Situation in gut oder schlecht, in mag ich oder mag ich nicht und dergleichen einordnet, verhindert die Unmittelbarkeit. Kinder leben diese noch: in einem Moment weinen sie, im nächsten können sie bereits wieder lachen.

Erfahre im heutigen Impuls, wie wir durch Übungen wieder Schrittweise in das unmittelbare Erleben zurückkehren können.

 

 

 

Wenn Du lieber liest, statt Dir die Audio anzuhören, dann findest Du hier die Shownotes:

 

Heute soll es es also darum gehen, dass wir einen unterscheidenden Geist haben.
So nennen wir das im Zen. Und das bedeutet, dass wir eine Situation in gut und schlecht, in mag ich und mag ich nicht einordnen, dass wir der Situation eine Bewertung hinzufügen und dass das letztendlich etwas auslöst.

Und ich möchte wieder eine Passage vorlesen aus dem bereits schon vielfach zitierten Buch „Jederzeit erwachen“ von Doris Zölls.
Und da geht es darum:

 

Was wir von Kindern lernen können.

„Säst du einen Gedanken, so erntest du ein Wort.
Säst du ein Wort, so erntest du eine Tat.
Säst du eine Tat, so erntest du eine Gewohnheit.
Säst du eine Gewohnheit, so erntest du einen Charakter.
Säst du einen Charakter, so erntest du ein Schicksal.

Dieses indische Sprichwort macht deutlich, dass der Gedanke unsere Wirklichkeit schaft. Gedanken sind jedoch vorhanden. Ich kann sie nicht einfach eliminieren. Wie aber komme ich mit ihnen zurecht? Indem ich positiv denke? Jeder Gedanke ist jedoch dual. Ich kann nicht klein, ohne gleichzeitig groß zu denken. Ich kann nicht gut, ohne zugleich schlecht zu denken.

 

Ich kann also nie einen positiven Gedanken haben, ohne den negativen Gedanken mitzudenken.

Je mehr ich aber den negativen Gedanken wegdrücke, desto hinterlistiger schleicht dieser sich wieder ein. Nur positiv zu denken funktioniert nicht. Zudem entspricht ein positiver Gedanke oft nicht der Situation. Stellen Sie sich vor, jemanden wird Gewalt angetan. Wie soll man das positiv denken? Da kommen dann Konstruktionen heraus wie „daraus musst du etwas lernen“ oder „es wird eine Schuld abgetragen, die du dir schon vor diesem Leben aufgeladen hast“. Das sind alles Konzepte des Verstandes, um dieses Geschehen einzuordnen, ihm einen Sinn zu geben, damit ich mit dem Schmerz umgehen kann. Doch das trägt nicht. Der Schmerz ist dennoch da.

Was aber wird im Zen empfohlen, wenn Gewalt geschieht? Was ist die Zen-Antwort, wenn Schmerz auftritt? Es tut weh. Ich schreie auf. Ich weine.

 

Im Zen-Geist zu handeln, heißt im Augenblick sein. Wenn es weh tut, schreie ich. Und wenn es freudig ist, lache ich.

Ich setze keinen Gedanken, keine erdachten Geschichten darauf. Den Zen-Geist zu entfalten bedeutet, in die Unmittelbarkeit zu kommen, so wie ein Kind handelt. Wenn es hinfällt, schreit es. Und wenn man es ablenkt, kann es das Geschehen loslassen und gleich wieder lachen. Das mag im ersten Moment vielleicht kindisch wirken, doch im Grunde genommen entspricht dies der Zen-Haltung.

Jesus sagte einmal, „Wenn er nicht werdet, wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich eintreten“.

 

Das Himmelreich ist der Augenblick.

Wenn Schmerz geschieht, dann ist es einfach zum Weinen. Aus. Der Schmerz wird nicht in jeden anderen Augenblick mit hineingenommen. Wir Erwachsene hängen oft mehr am Schmerz als an der Freude. Erleben wir Schmerz, nehmen wir in mit und spüren nichts anderes mehr. Der Schmerz bestimmt das ganze Leben. Wir können nicht mehr loslassen. Wir haben sogar den Eindruck, nicht oberflächlich, sondern im Gegenteil tiefsinnig zu sein, wenn wir der Schwere des Lebens besondere Aufmerksamkeit schenken. Doch es ist nur ein Am-Augenblick-haften-bleiben. Im Zen heißt es, lass los, geh in den Augenblick und komm ins unmittelbare Erleben.

 

Die Unmittelbarkeit, die wir als Kind hatten, ist verloren, aber nicht endgültig, sondern sie ist nur überlagert mit Theorien, die unser Gehirn entwickelt.

Heben wir den bleiernen Mantel der Gedanken hoch, ist unsere Lebendigkeit wieder da. Das kann nicht durch neues Denken geschehen. Die Übung muss viel mehr bis in den Körper dringen. Der Körper hat in sich die Gegensätzlichkeit gespeichert. Er reagiert automatisch nach dem Prinzip der Unterscheidung. Lassen wir die Gegensätze sich nicht widersprechen, indem wir das eine ablehnen und das andere bevorzugen, sondern richten wir alle Aufmerksamkeit auf das hier und jetzt verinnerlicht dies unser Körper. Das Bewusstsein, das im Körper schlummert, kann so erweckt werden. Erwachen ist Bewusstwerdung in jedem Moment.“

(aus Doris Zölls „Jederzeit erwachen“)

 

Übung

Es gibt eine Vielzahl von Übungen, die das Zen anbietet, um diesen unterscheidenden Geist so ein bisschen auszuhebeln, sagen wir es mal so, ihm ein Schnippchen zu schlagen. Was der Vorteil daran ist, wir können immer mehr erleben, dass das, was wir vermeintlich nicht mögen, eigentlich gar nicht so schlimm ist. Und dass es letztendlich nur ein Gedanke ist, dem wir der Sache draufsetzen. Und Doris schlägt hier zwei Übungen im wesentlichen vor.
Die eine finde ich ganz spannend, nämlich sich an eine Warteschlange anzustellen und zwar absichtlich ganz hinten und auch immer wieder Menschen vorzulassen und richtig zu spüren, dass es nicht schlimmer ist, hinten zu stehen als vorne zu stehen. Und wenn es für dich schwieriger ist, vorne zu stehen als hinten, dann wähle doch die vordere Position und drängle dich mal vor und probiere das mal aus.

Oder sie schreibt hier „Erwachen beginnt im Körper“ und lädt dich ein, dich auf den Boden entspannt hinzulegen und einen kleinen Body-Scan zu machen, dass du von den Zehen über die Füße, Beine, den Leib, die Arme bis hin zum Kopf deinen Körper spürst und dann wahrnimmst, wie der Atem kommt und geht, ohne dass du ihn beeinflusst. Und dann beobachte, welche Gedanken aufsteigen. Nicht damit identifizieren, sondern sie kommen und ziehen zu lassen, wie Wolken am Himmel.

Ich wünsche dir fröhliches Üben und vielleicht auch fröhliches Ertappen, wenn dein Geist unterscheidet in gut und schlecht und vielleicht gelingt es dir an der einen oder anderen Stelle, ein Schritt davon zurückzutreten und es einfach als die Entfaltung des Lebens zu sehen. Nicht für gut und nicht für schlecht, sondern es ist, wie es ist.

Viel Freude beim Eintauchen in den gegenwärtigen Moment.