Markina-Xemein – Gernika
(24,9 km)
Als die Hospitalera um 7 Uhr das Licht einschaltet, ist die Nacht definitiv vorbei. Eigentlich schon etwas vorher, da der ältere Pilger neben mir insbes. morgens zu schnarchen beginnt, als mein Schlaf eben nicht mehr tief genug war.
Das Frühstück lasse ich in der Herberge ausfallen – der übliche, schlechte Kaffee und trockenes Toastbrot mit Marmelade und kleine, viel zu süße Gebäckstückchen, selbstverständlich alle einzeln verpackt, reizen mich irgendwie so gar nicht. Also packe ich zügig mein Zeug und kehre lieber im Café/ in der Bar um die Ecke ein. Da gibt es dann mein übliches Pilgerfrühstück: Café con leche (Milchkaffee), zumo der naranja (frischgepresster Orangensaft) und ein Neopolitana (Schokocroissant).
Kurz nach 8 Uhr starte ich dann gestärkt in den Tag. Nur fühlt es sich so gar nicht an, also das mit der Stärke. Ich trotte müde über den Weg. Und dabei ist nicht mein Körper das Problem. Der ist nach wie vor fit, etwas Muskelkater vielleicht, aber ausgeruht und bereit zu laufen. Nein, es ist nicht der Körper, es ist der Kopf, der mich bremst. Ich bin mental träge und müde. Meine Gedanken fühlen sich an wie Kaugummi. Das ist ja normalerweise nicht so schlimm, wenn man gerade keine Denkarbeit leisten muss, dann vielleicht sogar von Vorteil, weil man geistig dann nicht abfliegt, weg vom Hier und Jetzt. Also könnte das doch tatsächlich gut sein. Ja, könnte. Ist es aber nicht. Die geistige Müdigkeit ist derart heftig, dass sie auf das Gesamtsystem überschlägt und mich wirklich dahin schlurfen lässt. Also trotte ich voran und bin schon fast versucht, im Kloster Zenarruza, das nur 7,2 km entfernt liegt, für die Nacht Halt und heute einen gemütlichen Tag zu machen. Und das hätte ich vermutlich auch getan, allerdings erreiche ich das Kloster bereits um 10:30 Uhr und die Aufnahme von Pilgern ist erst ab 15:30 Uhr und da dort sonst nichts ist, laufe ich halt weiter. Was hätte ich dort auch 5 Stunden tun können?
Und so geht’s halt dahin.
Denn auch bei der nächsten Möglichkeit zu übernachten, sagt mir irgendwas „nein, hier nicht“. Und durch meine letzte Erfahrung der negativen Art auf dem Münchner Jakobsweg in Lechbruck habe ich gelernt, auf mein Gefühl oder 6. Sinn zu hören oder was auch immer dann da in mir rebelliert. Und so torkle ich um 16 Uhr in der Herberge in Gernika ein. Habe also stolze 8 Stunden gebraucht, mit 4 Pausen (sehr ungewöhnlich für mich) und dem Schleichgang auch kein Wunder. Nun ja, jeder Tag ist anders.
Gestern, ja, gestern war unglaublich. Und vielleicht steckt mir dieser Tag, wenn auch nicht wirklich in den Knochen, so vielleicht im Kopf.
Gestern fiel mir auf, dass ich es noch auf keinem Camino so erlebt habe wie hier, dass mir pro Etappe immer wieder mehrere Wegmöglichkeiten vorgeschlagen werden. So heißt es in meinem Outdoor-Wanderführer mehrfach am Tag, dass es eine Alternative gäbe, die schöner, atemberaubender, aufregender oder was auch immer wäre, aber selbstverständlich auch anstrengender, anspruchsvoller und/oder länger als die andere, gewöhnliche Route. Und ich glaube, ich muss wohl nicht erwähnen, welche ich jedes Mal gewählt habe. Dann wurde mir plötzlich bewusst, dass ich das im Leben auch so mache: das Komplizierte, Anspruchsvolle, Anstrengende wähle, weil es reizvoller, schöner, besser… scheint. Kann also das Leichte und Unkomplizierte nicht so schön sein? Und wer sagt eigentlich, was schöner ist? Im Falle meines Caminos, der Autor des Buches. Kann ich nicht auch im weniger Anstrengenden das Schöne entdecken? Eben gerade weil es leicht geht, wenig Anstrengung erfordert? Klar ist, ich will beides: das Schöne und das Leichte. Geht das oder ist das irgendein komisches Naturgesetz, dass es nur entweder oder gibt?
Vielleicht ist damit erklärt, warum ich heute im Kopf „etwas“ benommen bin. Ja, benommen trifft’s ganz gut. Also eher wie in Trance, nicht voll da. Das hielt auch tatsächlich den ganzen Tag an. Der Nebel hat sich also (noch) nicht gelichtet.
Ich werde – schätzungsweise auch weiterhin – bei diesem Camino immer wieder aufgefordert zu wählen: leicht und weniger schön oder anstrengender und berauschend. Insofern habe ich voraussichtlich genügend Möglichkeiten, für mich selbst herauszufinden, was das Leichte zu wählen mit mir macht, ob es mich „befriedigt“, berührt und ob ich daran sogar Gefallen finden kann.
Na, dann mal sehen, was der morgige Tag bringt…
Mein heutiger Tag in Bildsprache:
Erste Pause um 9:30 Uhr, gleich mal für 30 Minuten. War ja schon ein harter Weg bis hierher??
Schönes Bolibar.
Das Kloster Zenaruzza.
Gernika liegt vor mir.
Das Wetter war heute exakt so, wie es auf den Bildern aussieht: sonnig, heiß bei knapp über 30 Grad, doch zum Glück mit einem zuweilen frischen Wind, der die Hitze erträglicher machte☺️