05.10.17 – 18. Tag

von Katja Härle

5. Oktober 2017

Reliegos – Léon
(24,6 km)

Die Nacht war mal wieder eine der etwas schlechteren Art. Nicht weil ein Schnarcher oder eine andere Geräuschkulisse meine Nachtruhe gestört hätte, denn ich hatte mir in einer Herberge ein Doppelzimmer für mich ergattert. Der Grund war die unglaublich durchgelegene Matratze. Aufgrund der anfänglich komaartigen Müdigkeit gar nicht bemerkt, wurde ich aber mitten in der Nacht wach und wusste nicht mehr wie bequem liegen. Man spürte doch tatsächlich an jeder Stelle genau die Metallfedern der Federkernmatratze, und zwar jede einzelne.
Erst als ich zwei der vorhandenen Wolldecken zwischen mich und der Matratze platziert habe, geht es etwas besser.
Als ich dann um 7:30 Uhr aufwachte, waren bereits alle Pilger weg. Die sind echt alle verrückt oder ich, weil ich offenbar den Weg zumindest was das Losgehen betrifft etwas anders händel. Nun ja, jeder wie er es für richtig hält.
In der Tat ist es so – und das muss ich an der Stelle mal loswerden – es gibt kein richtig oder falsch. Den Jakobsweg sollte, nein, muss jeder auf seine Weise gehen. Und da wir doch alle recht unterschiedlich sind, wir Menschen, steht es niemanden zu, zu bewerten, ob nun etwas richtig oder falsch ist. Ich kann nur feststellen, dass etwas nicht meinem Weg oder der Art entspricht, wie ich ihn gehen möchte. Das ist aber auch schon alles. Und natürlich bin ich nicht Mutter Theresa: auch ich finde manche Vorgehensweisen merkwürdig, manchmal sogar anstößig. Ja, und dann muss ich mich selbst daran erinnern, dass mir das zu bewerten nicht zusteht, mich auch gar nichts angeht oder tangiert. Und letztlich gilt das für so vieles. Wie oft bewerten wir die Lebensweise anderer Menschen – „normaler“ Menschen, die also weder ungewöhnlich asozial oder gar gewalttätig sind? Dabei haben wir dazu weder das Recht noch – wenn wir ehrlich sind – die Kapazität. Gäbe es doch so viel in unserem eigenen Leben aufzuräumen. Nun ja, lassen wir das. Ich schweife ab.
Meiner Meinung nach muss jeder seinen Weg auf seine Weise gehen (ob jetzt Lebensweg oder Jakobsweg ist egal, aber bleiben wir der Einfachheit halber mal beim Jakobsweg ?). Ob jetzt also in der Gruppe, als Paar, mit einem Freund oder alleine, beginnend so, nach einer Weile anders, längere oder kürzere Strecken, mehr Pausen oder weniger, egal wie, Hauptsache man findet sein Gusto und bleibt sich treu. Und Entwarnung: jeder darf seine Meinung ändern und muss nicht, wie begonnen, durchhalten. Sich leiten und tatsächlich mal treiben lassen. Ich glaube, wer das schafft, hat schon unglaublich viel erreicht. Und auch ich bin davon noch meilenweit entfernt…

Zurück zu meinem Weg und dem heutigen Tag, der so ganz anders war wie die Tage davor. Die Stadt Léon nimmt einen bereits kilometerweit davor gefangen. Die Gegend ist auf meinem heutigen Abschnitt also mindestens zur Hälfte bereits urban. Und damit alles andere als schön. Vororte, Industriegebiete und vor allem Straßen, Straßen, Straßen. Vorbei ists also erstmal mit der stundenlangen Stille der Tage davor.


Wenig schöne Abschnitte auf der heutigen Etappe.

Nachdem ich den Tag um 8:30 Uhr gestartet und im nächsten Ort nach gut 1,25 h meine Frühstückspause eingelegt habe, bin ich aber ganz gut gewappnet. Dennoch ist der „Hatsch“ die letzten 7 km ins Herzen von Léon, direkt zur imposanten Kathedrale, ziemlich zäh und nur mit Musik zu meistern, die weitestgehend den Straßenlärm überdeckt.


Vorbei an mehrspurigen Straßen.


Die beeindruckende Kathedrale von Léon ist bereits im Hintergrund zu sehen.

Als ich dann aber nach ca. 5 Stunden reiner Gehzeit gegen 14 Uhr die Altstadt von Léon betrete, bin ich sofort verliebt. Verliebt in die schmalen Gassen, die hübschen Häuschen, die liebevoll mit Blumen dekoriert sind, in die vielen Straßencafés und Bars. Interessant, denn noch vor wenigen Tagen fand ich Burgos, obwohl ebenso reizvoll, noch zu wuselig und stressig. Dabei ist wohl Léon auf den ersten Blick geschäftiger. Ich fühle mich auch absolut nicht einsam. Im Gegenteil reich angefüllt durch die Eindrücke der letzten sehr stillen Tage. So ändert sich die Stimmung.


Viele kleinere und größere Gassen laden zum Schlendern ein (naja, insofern man nicht soeben 25 km zu Fuß hinter sich gebracht hat?)


Das imposante Bauwerk Léons Kathedrale.

Mein noch gestern Abend gebuchtes Hostal – ich wollte mir mal wieder etwas „Luxus“ gönnen – befindet sich dann auch wirklich direkt um die Ecke zur Kathedrale und damit mitten drin. Und das noch zu einem erstaunlich günstigen Preis von 30 Euro. Wenn ich das zu meinem gestrigen Zimmer in der Alberque im Nirgendwo vergleich, das immerhin auch 25 Euro wohl gemerkt mit Gemeinschaftsbad gekostet hat, kann ich mein Glück kaum fassen.

Deshalb werde ich mir jetzt erstmal eine laaaaaaaange Dusche gönne und danach die Stadt genießen.

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