07.10.17 – 20. Tag

von Katja Härle

7. Oktober 2017

Villar de Mazarife – Astorga
(31,8 km)

Um 7 Uhr breche ich auf. Die Nacht war… hmmm, naja, nicht schlecht, aber auch weit entfernt von gut. Einschlafen gelang flott. Kunststück nach den vielen Tagen nur zu Fuß unterwegs. Doch die Uhrzeit ist dennoch mehr als ungewöhnlich: um 21 Uhr rum liege ich schon im Bett und bin wohl kurze Zeit später im Tiefschlaf.
Jedoch wache ich irgendwann auf. Mein Gefühl sagt mir, es ist mindestens schon 4 Uhr. Pustekuchen. Der Blick aufs Handy verrät mir, es ist erst kurz vor 1! Nach dem unvermeidlichen Klogang gelingt mir allerdings das Einschlafen nicht mehr so ohne Weiteres. In meinem Vierbettzimmer sind gleich zwei Schnarcher, die wetteifernd unmenschliche Töne von tief unten aus sich herausholen. Das bringt mich dazu, nachts um 1:30 Uhr genervt für die nächste Nacht nach einem Hotelzimmer zu schauen. Ich hatte ohnehin vor, Astorga heute zu erreichen. Tja, und wenn nicht, dann kostet mich das halt etwas Geld. Aber ich vertraue darauf, dass es kommt, wie es kommen soll.

Diese Erfahrung und auch die Angstbekundung einer Pilgerin, dass die Herbergssituation gegen Ende des Caminos nur schlimmer werden wird sowie die Erkenntnis, dass ich mich trotz aller selbst eingeimpfter Ruhe eben aus selbiger bringen lasse, bringt mich dazu, mein bisheriges Vorgehen zu überdenken.
Vielleicht ist es an der Zeit, meine Etappen nun mehr zu planen. Und zwar um zwei Dinge zu erreichen: erstens mehr Gelassenheit während des Gehens, wenn ein sicheres Bett am Ende der Etappe wartet; zweitens mehr Entschleunigung, in dem ich absichtlich die Etappen kleiner abstecke, also mir weniger Kilometer vornehme. Mein Lauf untertags ist oft getrieben. Nun denn, ich war schon immer ein flotter Geher. Dennoch weiß ich auch darum, dass mich nur allzu gern sportlicher Ehrgeiz packt.
Nachdem ich vorgestern festgestellt habe, dass ich noch 20 bzw. zwischenzeitlich 18 Lauftage locker übrig habe, d.h. also zeitliche Halbzeit, jedoch „nur“ noch mit Beendigung der heutigen Etappe knapp 270 km vor mir liegen, möchte ich mich selbst zur Langsamkeit ermahnen oder drastischer formuliert gar zwingen. Sonst tritt tatsächlich das bei mir selbst ein, was ich anfänglich dem ein oder anderen Übermotivierten prophezeit habe: ich komme physisch in Santiago an, während meine Seele noch irgendwo auf dem Camino festhängt.
Mich drängt also nichts, außer der nur allzu bekannte innere Antrieb, der mir aber hier nun völlig überflüssig, nein, besser gesagt sogar hinderlich erscheint.
Das heißt, ich werde den Abend dazu nutzen, um die verbleibende Strecke sinnvoll einzuteilen und Zimmer-/Bettenbuchungen vornehmen. Das entspricht zwar nicht mehr dem spontanen Gang der letzten 2-3 Wochen. Ich spüre aber, dass Geschwindigkeitsreduzierung jetzt oberes Gebot ist. Und das erreiche ich – so denke ich – nur durch diese Strategie.

Ansonsten war es heute zwar ein langer Tag – ich treffe um 15:30 Uhr in Astorga ein -, habe mir aber tatsächlich mal mehrere Pausen gegönnt und bin ab der 3. Stunde mit wenigen Ausnahmen wirklich langsamer gegangen. Das ist schon ein Erfolg. Trotzdem sollte ich 30km-Etappen ab jetzt nur noch in Ausnahmefällen laufen. Wozu die Hektik, wenn ich noch so viel Zeit habe.


Erneut traumhafter Sonnenaufgang. Im Hintergrund die Berge der Region Léon, die es noch zu überqueren gilt.


Die ebenso berühmte wie beeindruckende Brücke von Hospital de Órbigo, mit 20 Bogen und 300 m die längste Brücke des Jakobsweges.


Immer wieder passiere ich heute Abschnitte mit einer Vielzahl von Pappeln, deren Blätter bereits beim geringsten Windhauch ein Geräusch erzeugen, als würde es in dicken Tropfen regnen.


Oder Abschnitte mit Kiefern oder kiefernartigen Gewächsen. Diese Bäume begleiten mich in unregelmäßigen Abständen bereits den gesamten Weg. Sie fallen mir insbesondere deshalb auf, weil ihr Duft nicht an harziges Nadelholz erinnert sondern eher an Parfum.


Und wieder mal taucht am höchsten Punkt meiner heutigen Etappe wie eine Fatamorgana aus dem Nichts eine kleine Oase mit Früchten, Getränken und Sitzgelegenheiten im Schatten auf. Und auch diese basiert allein auf Spendenbasis. Es ist nicht mal jemand da. Allgemein muss ich sagen, dass man entlang des Caminos mit ganz wenigen Ausnahmen mehr als freundlich durch die Spanier aufgenommen und behandelt wird. Fast ausnahmslos wird man gegrüsst und hört nicht selten ein „Buen camino“.


Ab jetzt gehts wieder abwärts. Unten im Tal liegt Astorga, mein heutiges Ziel.



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