O Pedrouzo – Santiago de Compostela
(19,7 km)
Geschafft! Ich habe es geschafft!
Ich bin nach 28 Lauftagen (ich hatte ja einen Tag Laufpause gemacht) um 12:30 Uhr in Santiago vor der Kathedrale angekommen und nach meinen Angaben der Etappen genau 785 Kilometer von St.-Jean-Pied-de-Port entfernt. Ich bin also im Schnitt jeden Tag 28 km gelaufen. Wow. Ich bin stolz auf diese Leistung.
Und happy über alle gesammelten Erfahrungen und Eindrücke, wiedergewonnene Kraft und Stärke sowie das Vertrauen, in mich aber auch in das Leben selbst. Und insofern kann mir heute auch nichts den Tag vermiesen.
Das Wetter ist nämlich wohl heute das erste Mal seit Anbeginn meiner Reise hier schlechter als in Deutschland. Zwischenzeitlich regnet es mal richtig und es hat nur 15 Grad.
Aber irgendwie auch total verrückt und vielsagend: die Reise nach Santiago endet genau so, wie sie angefangen hat:
an einem Montag – das habe ich gestern ja schon festgehalten – und exakt mit den gleichen Wetterbedingungen. Nieslich, gemäßigte Temperatur aber nicht kalt und grau. Und doch ist vieles anders, anders in mir.
Das Wetter und die HORRORSCHLANGE an Pilgern im Pilgerbüro von Santiago können daran auch nichts ändern.
Nur um dies an der Stelle loszuwerden: Santiago ist – bislang zumindest – in meinen Augen eher enttäuschend. Hätte ich die Reise gemacht, um am Ende mit einem erhabenen Gefühl vor der Kathedrale zu stehen mit meiner Compostela in der Hand, wäre ich zutiefst enttäuscht. Zum Glück war ja nie Santiago das Ziel sondern der Weg, der Weg zu mir selbst, das Gehen, die Erlebnisse und Begegnungen. Und das Alles hatte es in sich, ich bin reicher beschenkt worden als angenommen. Und insofern hatte ich schon dieses erhabene Gefühl, allein bei dem Gedanken an die vergangenen Tage und Wochen – aber eben ganz und gar nicht wegen Santiago selbst. Ich glaube, man kann das nicht zufriedenstellend und auch nur ansatzweise treffend beschreiben. Man muss es einfach selbst erleben, was der Camino mit einem und aus einem macht.
Aber zurück zum heutigen Tag und zu Santiago.
Der Weg ist noch bis kurz vor Einzugsgebiet Santiago sehr bewaldet und landschaftlich erneut eine Fortsetzung der Tage davor, obgleich man nach wenigen Kilometern hinter O Pedrouzo bereits den Flughafen Santiagos deutlich zu hören bekommt. Man sieht zwar lange nichts, hat aber das Gefühl direkt neben den startenden Flugzeugen zu stehen. Der Lärm ist zuweilen enorm. Aber auch das kann meiner Stimmung keinen Abbruch tun. Einmal im Stadtgebiet Santiagos ist es allerdings Schluss mit der anmutenden Umgebung. Bis die Altstadt beginnt, also quasi 15 Minuten vor Ankunft vor der Kathedrale, zeigt sich Santiago von seiner hässlichen Seite. Die Altstadt ist dann ganz nett, mit engen Gassen und vielen Souvenirläden.
Die Kathedrale selbst kann zumindest von außen weder mit der von Burgos noch mit der Léons mithalten. Klar, meine Meinung. Manche dürften hier vielleicht empört aufschreien. Man steht allerdings so unvermittelt vor der Kathedrale bzw. genauer gesagt passiert man sie seitlich fast unbemerkt, dass man zweimal hinschauen muss, um darin die Kathedrale zu erkennen. Den Hauptplatz erreicht man erst kurz danach, aber auch dort vermag sie nicht mit derselben oder gar größeren Imposanz Burgos oder Léons Kathedralen aufzuwarten. Grau und in die umgebendenen Gebäuden eingepfercht steht sie da und vermittelt damit eher den Eindruck, sich verstecken zu wollen. Naja, vielleicht liegts auch am heute trüben Wetter. Egal.
Weitermarschiert zum Pilgerbüro, das tatsächlich auch nicht leicht aufzufinden ist, wartet die nächste Enttäuschung: eine riesige Ansammlung von Pilgern drückt sich bereits im Flur VOR dem Pilgerbüro herum. Pi mal Daumen schätze ich die Wartezeit auf mindestens 2 Stunden und entscheide – etwas verärgert über die spanische Gelassenheit, nicht wenigstens zu Stoßzeiten ob der Pilgermassen mit mehr Personal aufzuwarten – die Compostela erstmal zu vergessen. Da empfand ich wirklich alles andere während des Weges besser ausgewiesen und deutlich besser organisiert, als am Hotspot selbst.
Ich besorge mir daher lieber schnell Essen und Trinken und nehme dann mein luxuröses Appartment ein, keine 150 Meter von der Kathedrale entfernt.
Bezüglich der Compostela werde ich es nach 18 Uhr nochmals versuchen. Die Kathedrale werde ich noch von innen besichtigen und dem heiligen Jakob etwas ins Ohr flüstern. Offenbar erfüllt er Wünsche? Naja, ich denke, es wird mal Zeit, einfach nur „Danke“ zu sagen. Und vielleicht bleibe ich dann gleich zur Pilgermesse um 19:30 Uhr. Ich werde sehen. Das Wetter ist auf jeden Fall gerade wenig einladend für Aktivitäten draußen. Und da ich – wie es derzeit (noch?) aussieht – Anfang nächster Woche wieder hier sein werde, bevor ich nach Hause fliege, ist gegebenenfalls das Wetter für Stadtbesichtigung und Co. etwas angenehmer.
Morgen, so zumindest noch derzeitiger Planungsstand, pilgere ich weiter Richtung Finisterre und Muxía. Ca. 4-5 weitere Tage wandern.
I can’t stop walking ?
Das Stadtgebiet Santiagos ist erreicht!
Ich habs geschafft!
Mein luxuriöses 2-Zimmer-Appartement unweit der Kathedrale.
Mein gut gefülltes Credencial del Peregrino – also quasi Zeugnis meiner Pilgerschaft:
Das mich dazu ermächtigte, nach 1,5 Stunden Anstehen endlich meine Compostela in Händen zu halten:
Die „Original“- Compostela in lateinischer Sprache – inkl. meinem Namen auf Lateinisch…
Und die Variante in Spanisch mit allen Daten, wo angefangen, wieviele Kilometer (nach deren Angaben), etc pp.
Jetzt ist’s also aktenkundig und damit amtlich bestätigt: ich bin nach Santiago gepilgert?