23.09.17 – 6.Tag

von Katja Härle

23. September 2017

Estella
(0 km)

Verweilen:
So gut mir vermutlich die Pause physisch tut, so sehr setzt sie mir mental zu. Heute morgen verlasse ich 10 vor 9 Uhr die Herberge, um mich in die Ortsmitte aufzumachen. Ich hatte noch gestern Abend in einem kleinen Laden entdeckt, dass sie dort auch Ganzkörpermassagen anbieten, 70 Min für 40 Euro. Das gönne ich mir, wenn ich hier schon einen Tag zubringe. Wehmütig schaue ich mir entgegenkommenden Pilgern nach. Ich wäre heute morgen doch lieber weitergelaufen. Körper und Geist sind noch nicht eins. Meine Füße sind dankbar für die  längere Rast, auch wenn sie sich über Nacht gut erholt haben. Meine Seele ist es nicht!

Ich habe verhältnismäßig gut geschlafen. Gut 8 Stunden, mit kurzen Unterbrechungen zwar, aber dennoch sehr lange Passagen dazwischen im Tiefschlaf.

So liege ich also von 9 bis kurz nach 10 Uhr auf einer Pritsche und lasse mich von Kopf bis Fuß durchkneten und dehnen. Tut gut. Danach gibts erstmal mein typisches Frühstück: Café con leche und ein Croissant chocolate. Naja, streng genommen sind’s heute zwei Cafés con leche und das auch noch extra grandes!

Dann besichtige ich zwei Kirchen, unter anderem auch den schönen Kreuzgang von San Pedro de la Rúa:

Immer wieder treffe ich auf Pilger, auch auf bekannte Gesichter. Z.B. auf das mexikanische Pärchen, dass vorgestern ebenfalls in der Herberge in Muruzábal abgestiegen war. Und auf Corinne, die Französin aus der Herberge in Larrasoaña der 3. Nacht.
Ich schaue ihnen traurig nach. Scheinbar komme ich unterwegs auf dem Camino mit meinen Gedanken besser klar. Sobald ich an einem Ort bin, verharre, kein Ziel an diesem Tag anstrebe, bin ich einsam.  Immer insbesondere unter Menschen fühle ich mich einsam, kann meine Gedanken und die Erinnerungen schwer ertragen. Woran liegt das bloß? Ob sich das ändert auf dem Weg?
Auffällig ist auch, dass ich noch zu sehr im Voraus plane: den heutigen Ruhetag, obwohl morgens dann doch nicht mehr so gewollt, die Etappenziele und damit auch die zu laufenden Kilometer pro Tag usw. Habe diesen Gedanken noch im Kopf und ertappe mich doch glatt dabei, wie ich den 2. Café con leche schlürfend die nächsten Tage skizziere und feststelle, dass 3 der 4 nun folgenden Etappen immer ca. 29 km  umfassen. Und das bei einer Wettervorhersage für die kommende Woche von 25-30 Grad.
Treiben lassen und spontan sein schaut allerdings anders aus. Ich bin noch zu sehr verwurzelt mit dieser vorausschauenden und planerischen Lebensweise. Dabei möchte ich doch gerade vom Weg, vom Leben überrascht werden. Ob ich es also mal schaffe, das Ruder – zumindest weitgehend – aus der Hand zu geben und nur im Hier und Jetzt zu entscheiden, nicht schon am Tag oder gar Tage davor? Ich bin gespannt…
Auch der Verzicht auf Whatsapp ist bislang nur eine Mär. Keinen Tag habe ich es bislang geschafft, nicht wenigstens doch die erhaltenen Nachrichten zu lesen. Auch hier gelingt mir die Abstinenz während des Gehens deutlich eher als abends nach Ankunft am Etappenziel. Mein Geist will beschäftigt sein.
Ich freue mich also schon ungemein auf den nächsten Tag, wenn es wieder heißt: buen camino! ?

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