28.09.17 – 11. Tag

von Katja Härle

28. September 2017

Belorado – Cardeñuela-Riopico
(36,3 km)

Ich weiß gar nicht, wo anfangen und wo aufhören zu erzählen. Das waren zwei unglaubliche und unglaublich heftige Tage. Nicht nur, was die gelaufenen Kilometer betrifft. Eigentlich kann ich es heute kaum glauben, was ich doch tatsächlich vollbracht habe, was mein Körper geleistet hat. Und dabei fängt der Morgen nicht so schön an. Wirklich alle alten Verletzungen zeigen sich auf diesem Trip. Ich spüre meinen linken Tennisarm von Zeit zu Zeit, mein rechtes Sprunggelenk murrt ab und an und seit gestern Nachmittag ists das linke Knie. Vor über 25 Jahren mal ordentlich an einem Treppengeländer angeschlagen, ists einfach nicht so topp und belastbar wie mein rechtes. So, meckert es jetzt spürbar bei allen kleinsten Abstiegen. Bergab ist diesem Knie verhasst. Leider hat sich das auch nicht übernacht gelegt. So tape ich es am Morgen und hoffe auf das Beste. Leider vergebens: es schmerzt selbst auf ebener Strecke. Na dann wird das heute wohl nicht zu weiten Strecken führen, denke ich mir, und humpel tapfer weiter.
Die Nacht habe ich – ich traue es mir kaum  niederzuschreiben – in einem Doppelzimmer, geteilt mit einem Londoner, verbracht. Aber!!! Nicht doch. Jeder in einem Bett für sich. Was anderes wäre auch nicht in Frage gekommen. Und hätte ich nie gemacht, hätte ich Symon nicht schon vor Tagen kennen gelernt. Er ist zu der Zeit mit einem kalifornischen Pärchen unterwegs, Alice und David, die einfach nur lieb sind. Und zufällig treffe ich die drei wieder und wieder. So wie viele andere Gesichter hier eben auch. Man kann dem ein oder anderen einfach nicht entkommen… nun denn, zurück zum Thema: wie kam’s zum Zimmerteilen? Alle drei, also Symon, Alice und David haben die Pilgerherbergen wohl satt und buchen sich nur noch in Pensionen und kleineren Hotels ein. Das erste Mal treffe ich die drei vor drei Tagen beim Pilgerabendessen in Sansol, eben in dieser Pilgerherberge, in der ich mit ca. 20 anderen das Bettenlager teile. Symon bietet mir nach längerem Gespräch eines der Betten seines Doppelzimmers an, weil er es ganz fürchterlich findet in diesen Bettenlager. Ich lehne – selbstverständlich – ab. Kenne ich ihn ja kaum. Seither treffe ich sie wieder und wieder, morgens zum Frühstück, während des Tages beim Wandern, abends. Gestern Abend stürme ich dann ziemlich fertig, um nicht zu sagen mega-platt, in die erste Pilgerherberge des Ortes und sehe am ersten Tisch…: Symon. Er hatte sich im der Herberge angegliederten Hotel ein Doppelzimmer gebucht. Und bot mir, nachdem ich gestern eben auch ein solches Séparée präferiert hätte, aber keines mehr zu haben war, erneut an, sein Doppelzimmer zu teilen. Ich zögere, schau es mir aber an und entscheide, nicht ohne vorher klarzustellen, dass er mich als Mann zu betrachten habe, dass ich es versuchen wolle. Er macht einfach auf mich einen ehrlichen Eindruck. Nun denn, so teilten wir ein Zimmer. Die Nacht war gut, ohne Zwischenfälle oder Vorkommnisse. Symon marschiert um 7:30 Uhr los, ich eine halbe Stunde später.

Nach einer Frühstückspause mit einer Ibuprofen – denn eben trotz Tape nervt mein Knie gewaltig – geht es jetzt deutlich besser. Der Weg ist wieder zum  Glück schöner und führt viel durch Kiefernwälder, die unglaublich duften. Ich bin ganz verliebt in den Geruch – nach dem ganzen Schweiß und anderweitigen Körperausdünstungen eine regelrechte Wohltat für die Nase.

Als ich am höchsten Punkt meiner heutigen Etappe an einer „Hippie-Oase“ Pause mache, informiert mich Symon per Handy, dass am geglaubten Etappenziel kein Bett mehr zu haben sei. Er würde weitergehen und mich informiert halten. Ich finde das zwar äußerst nett, auf der anderen Seite alamiert es mich auch. Wieso macht er das?


Hippie-Oase, weil alles so bunt und die „Betreiberin“ sehr alternativ daher kommt ?

Als Symon mich dann auch noch anruft und zudem textet, dass er nun ein Zimmer hätte mit Badewanne und es im übernächsten Dorf wäre, ich es bis dorthin gut schaffen würde, mich aber auch abholen lassen könnte, bin ich zwar erst artig und bedanke mich ob all dieser Informationen nett, aber nun macht sich Ungemach breit. Es arbeitet die folgenden Kilometer ordentlich in mir. Fairerweise muss ich sagen, dass ich bei ihm keine Hintergedanken vermute. Er scheint mir wirklich einfach ein netter Kerl zu sein, nur habe ich weder sein Fürsorge erbeten, noch  brauche ich sie. Ich spüre deutlich, dass ich alleine sein will. Mir wird mehr und mehr klar, dass ich den Weg nicht nur alleine beginnen und untertags größtenteils alleine wandern muss, ich denke, ich muss ihn auch allein beenden. Phasenweise begleitet zu werden, zufällig, wenn man sich trifft und begegnet, ja, gerne. Aber ausgemachtes, geplantes Treffen und längeres gemeinsames Wandern sowie Zimmer bzw. Betten reservieren, nein! Das fühlt sich einfach für mich falsch an. Nicht mein Weg. Und so entschließe ich mich weiterzulaufen. Und das Weiter wird dann doch noch ein etwas härteres Stück Arbeit. Es geht mega-steinig bergauf. Meistens erkenne ich den Weg kaum. Es sieht eher so aus, als würde ich mitten durch einen Acker voller Steine und Geröll laufen.


Endlich oben!


Marslandschaft! Und die Sonne sticht abermals.

Um 16 Uhr erreiche ich dann das lang ersehnte nächste Dorf. Und finde dann doch tatsächlich die beim Universum bestellte Pilgerherberge, gemütlich und ruhig und vor allem mit Pilgern, die mir noch nicht begegnet sind. Ich will einfach meine Ruhe. Und nun habe ich, wie es scheint, ein Vier-Bettzimmer mit eigenem Bad für 8 Euro (!!!) alleine. Ist das zu fassen? Jetzt ists 17:45 Uhr. Ich denke nicht, dass heute noch jemand hinzukommt. Die anderen Pilger wurden wohl auf die anderen Zimmer verteilt. Also alles gut gegangen?


Die neue Pilgerherberge wird am Ortseingang schon beworben: das ist mein Ziel!



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