Ge(h)danken – Teil 2

von Katja Härle

20. September 2017

Es ist schon merkwürdig: hier unter vielen Menschen, in einer pulsierenden Stadt bin ich einsam. Ganz alleine mit mir auf dem Camino nicht. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich insbesondere derzeit Menschenansammlungen meide.

Und tatsächlich ist es so, dass mir der Blog gut tut. Weil es eben nicht nur für mich ist, gehe ich doch deutlich diszplinierter zu Werke, macht es mir Spaß, abends diese Zeilen zu verfassen. Und erneut kann ich sagen: zwei Fliegen mit einer Klappe, weil ich durch diesen Antrieb, aktiv den Tag „nochmals hervorhole“ mit all seinen Höhen und Tiefen.
Heute war mir zwischendrin echt zum Heulen. Nein, eben nicht wegen meiner Zehen und schmerzenden Füße. Ich dachte mir ja schon, wenn mich der Camino zum Heulen bringt, dann sicher nicht wegen physischer Schmerzen. Und unterstützt war das Ganze durch… klar, Musik. Dorle würde sich freuen? Ich hab’s heute allerdings nicht geschehen lassen. Es waren zu viele Pilger um mich rum und außerdem: nicht schon am 3. Tag! Das heb‘ ich mir für später auf.

Immer wieder stoße ich auf alte Leiden. Körperlicher aber auch mentaler Art. Mein linkes Knie zwickte heute. Mein rechtes Sprunggelenk mit der – wie es mein Orthopäde nannte – Sonderausstattung eines Überbeins schmerzte. Und da waren auch wieder altbekannte Gesichter der ungeduldigen Ursula, der kritischen Karla und der verurteilenden Vera. Drei Persönlichkeitsanteile von mir, die ich nach wie vor eher loswerden will als intergrieren. Die maulten heute durchgehend, wieso ich noch nicht gelassenen Fußes gehen und alles so nehmen kann, wie es kommt. Sie etikettierten andere Pilger als Pummel und Pummelchen (die zwei Italienerinnen, die ich schon aus dem Zug nach St-Jean-Pied-de-Port kenne und die mir ständig begegnen), oder als x-beinig und mit „Zum-Glück-trägt-der-eine-lange-Hose“. Ein Taxifahrer, der mich beim Verarzten meiner Füße beobachtet und vermutlich schon Geschäft witterte, bekam beim Vorbeigehen ein auf deutsch genuscheltes „dir täte ein bisschen Laufen auch mal gut“ ob seiner doch ordentlichen Wampe ab. Und die Ungeduld zeigte sich vor allem darin, dass ich doch in der Tat glaubte, ich müsste bereits nach 2 Tagen auf dem Camino nun endlich dieser neue Mensch sein. Ach. Wie war das noch gleich mit  dem keine Erwartungen vom Gehen des Jakobsweges haben? Hmm, das schaut jetzt aber doch eher nach der Hoffnung auf Runderneuerung aus. Als ich das so beim Gehen selbst vor mich hinmurmle, muss ich lachen. Es ist doch schon erstaunlich, wie sehr man sich selbst was vormachen und dabei ebenso schnell alte Muster entlarven kann.

Nein, ich bin immer noch diesselbe. Welche Überraschung! Wenn meine Metamorphose gelungen ist, gebe ich Bescheid. Vor allem mir selbst…?



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