30.05.2025 – ca. 2 km hinter Lascabanes nach Lauzerte 22,2 km
Beim Zitat von Marina Abramovic, das ich heute zufällig höre, „Manchmal muss ich die Welt mit offenen Poren spüren“ bekomme ich Gänsehaut – und bei 28 Grad im Schatten liegt das sicher nicht an den Temperaturen. Wieso? Weil es nicht besser zu meinen heutigen Ge(h)danken passen könnte…
Ich starte heute verhältnismäßig früh – um 7:30 Uhr – weil ich die ersten 7 km mach Montcuq noch bei gemäßigten Temperaturen gehen will.
Nun ja, um die Uhrzeit hat es schon 16 Grad und ich schwitze bereits nach 30 Minuten gehen.
Wie es scheint, haben allerdings viele gedacht, besser früh zu starten, denn auf dem Camino ist schon ganz schön was los.
Die 7 Mitschläfer um und in der Kapelle (3 schliefen im Zelt in der Kapelle, 1 Fuß- und 2 Radpilger mit Zelt auf der Wiese) waren entweder schon weg oder ebenfalls gerade beim Aufbrechen.
Zurück zum Zitat von Marina A.: Immer wieder kommt es mir heute – zwischen schwitzen, schnaufen und Landschaft-Bestaunen – ob die meisten hier wirklich den Weg erleben. Viele gehen zu zweit oder gleich in Gruppen. Und egal, wann ich mich diesen nähere, sie plappern an einer Tour. Ich komme nicht umhin, das irgendwie doof zu finden und eben gar nicht nach pilgern. Dabei steht es mir überhaupt nicht zu, das zu bewerten. Und dennoch es passiert. Plötzlich fährt es mir durch Mark und Bein: wie vom Blitz getroffen begreife ich, dass ich überhaupt keinen Unterschied zu diesen Pilgern mache. Denn, worin besteht schon der Unterschied, ob ich ein Gespräch mit mir oder anderen führe? Ja, sicher. Damit setze ich mich wenigstens mit mir auseinander. Aber wer sagt, dass die das nicht auch tun? Halt auf eine andere Art. Fakt ist doch: wer plappert (egal mit wem und ob leise oder laut) taucht nicht wirklich in die Erfahrung des Weges ein.
Und das bemerke ich auch nur, weil meine Gedanken heute kaum einen Faden verfolgen können. Es entsteht kein Gespräch in mir. Nur Gedankenfetzen entstehen, kaum fassbar sind sie auch schon wieder weg. Dabei merke ich, wie viel bewusster ich den Weg unter meinen Füssen spüre, also auch mal, wenn es vermeintlich nichts zu spüren gibt, es weich und angenehm dahin geht und nicht stolpernd und ermüdend über Geröll. Ich rieche die noch frische Morgenluft, höre die Vögel und die Stille dazwischen – wobei, richtig still ist es nie.
Ich gehe mit allen Sinnen und bin mir dessen bewusst. Ich bin mir bewusst, dass das allein schon ein Wunder ist, nicht selbstverständlich, dass ich noch alle Sinne so gebrauchen kann. Viele können solche Wege nicht im Traum wandern.
All das wird mir bewusst und ich habe dabei tatsächlich eine sinnliche Erfahrung: ich und der Weg und der Weg und ich. Schritt für Schritt, Moment an Moment.
Ruhige Nacht – jäh beendet durch einen Hahn in der Umgebung, der uns mit Morgengrauen im Abstand von 30 Sek. an das nahende Aufstehen erinnert 🐓
Auf dem Weg nach Montcuq
Ein Herz für den Weg, für all die Menschen, die die Wege in Schuss halten, für die durchgängige Markierung 🫶…
…und für diejenige, die für Ruhe- und Entspannungsmöglichkeiten sorgen.
Um Punkt 9 Uhr habe ich die 7km nach Montcuq absolviert…
… und nach einer Frühstückspause mit Frank auch bald hinter mir gelassen.
Der ein oder andere Anstieg darf erschwitzt werden 😅
Erkennt ihr die Pilger auf dem Weg?
Jetzt auf jeden Fall 😉
Bambushecke!
Zum Glück gibt es heute einen stetigen Wechsel aus…
sonnigeren Abschnitten…
… und beschattenen Wegen.
Mit dem Weg sinnlich in Beziehung treten. So das heutige Motto. Und damit wird das, was ich noch vor ein paar Tagen vielleicht etwas despektierlich als nicht meine Art bezeichnet habe, dann doch zu meiner Art. Die reine Wegbeschreibung oder besser gesagt die reine Wegbeschreitung, rein mit dem Weg sein, rein eintauchen in die Erfahrung, den Weg zu gehen und wie der Weg mit mir in Kontakt geht und dabei nicht ein Dialog zwischen mir und einem anderen oder in mir, sondern ein Dialog zwischen mir und dem Weg entsteht. Kommt es am Ende vielleicht genau darauf an? Sollte ich vielleicht genau an diesen Punkt kommen? Mich gänzlich auf den Moment und damit auf den Weg einzulassen?
Und im selben Moment wird mir bewusst, dass dazu vielleicht all die anderen Wege und all die anderen Dialoge notwendig waren, um genau an diesem Punkt zu kommen: mich wirklich einzulassen, auf den Weg.
Dabei ist mir klar, dass das nun auch nur ein Zustand ist, der nicht für immer gilt, der nicht festgehalten werden kann. Auch dieser Moment geht vorbei.
Und um ehrlich zu sein, hatte ich schon immer wieder mal derartige Erfahrungen auf dem Jakobsweg, eins zu werden mit dem Weg oder zumindest mit dem Gehen. Oft genug, wenn es anstrengend, der Tag lang wurde. Heute ist insofern anders, dass ich noch frisch bin. Meine Füße und Beine haben sich gut eingelaufen und ihnen scheint das warme Wetter deutlich weniger zuzusetzen, als vermutet. Dennoch ist mir klar, es wird vorbei gehen und morgen kann die Stimmung schon wieder ganz anders sein. Wir werden sehen….
Oh, wie das duftet hier. Bäume und Büsche dunsten aus der flirrenden Hitze. Es riecht nach Nadelwald.
Um kurz vor 13:30 Uhr liegt Lauzerte auf einem Hügel thronend vor mir.
Für heute lass ich es gut sein. Ein Campingplatz mit Pool ist jetzt genau das Richtige.
Und selbstredend einem schattigen Platz 😉
Etappe 9