In guten wie in schlechten Tagen?

von Katja Härle

26. Mai 2025

26.05.2025 – Cajarc nach Bach 33,2 km

 

Kannst du gut zu dir an schlechten Tagen sein? In guten Tag mit sich fein zu sein, ist ja keine Kunst, aber an schlechten?

Kein Klient kommt zu mir, weil er/sie zu oft gut drauf ist. Wir haben ein Thema damit, uns schlecht zu fühlen. Ich mache da keine Ausnahme. Ja, ich kann damit schon besser umgehen, als noch vor einigen Jahren. Und doch gerate ich noch in Ablehnung und auch Unverständnis. „Katja, was hast du für ein Problem? Du bist gesund, versorgt und sicher. Dir geht’s doch gut.“ Eben nicht. Wenn es uns psychisch schlecht geht, gibt es nicht selten keine äußeren Gründe. Gut, Gründe „zum Jammern“ finden wir ja immer, doch Monatelang kümmert uns dieser Grund nicht und mit einem Mal bedauern wir uns dafür. So ist es auch heute bei mir. Und dabei kommt und geht die schlechte Stimmung nicht selten, wie meine Knieschmerzen: mal sind sie den ganzen Tag nicht zu spüren, dann tauchen sie urplötzlich wieder auf und ziehen irgendwann unbemerkt wieder von dannen. Da hilft weder Widerstand noch gut zureden. Da hilft wohl nur Empathie. Und das geht uns und so auch mir selbst nicht so leicht von der Hand wie anderen gegenüber.

Unser Stellplatz der letzten Nacht – sehr ruhig.

Aufi geht’s.

Ein stetiges, aber meist gemäßigtes Bergan über 7 km

Hahahah. Ok, da hatte wohl jemand keine Lust mehr auf die Tempos etc. der PilgerInnen. Beides kann ich verstehen: das Pilger in die Botanik gehen, denn wie es scheint dünnt die Infrastruktur zusehends aus. Es gibt bei weitem nicht mehr die Anzahl an Toiletten auf dem Weg wie noch die letzten Tage. Ich verstehe aber auch, dass an manchen Stellen schon viele Tempos liegen – augenscheinlich ein beliebter Pipi-Platz. Deshalb habe ich ein Hunde-Kack-Tütchen dabei und sammle meine Tempos wieder ein.

Ich durchlaufe wieder verträumte Weiler.

erneute Weggabe

Und ich bin gelangweilt. Jep, tatsächlich bin ich heute gelangweilt vom Weg. Klingt wahrscheinlich merkwürdig, aber so ist es. Ich mache Fotos und denke: sieht aus wie gestern (was ja so nicht stimmt). Ich laufe fast ganz automatisch, schaue zwar mal rechts und links und sehe irgendwie dennoch nicht viel. Bzw. was ich sehe, scheint durch mich hindurch zu gehen. Nichts bleibt haften. Das Gehen fällt mir nicht schwer. Es ist mir aber auch keine Freude. Muss ich für alles immer Lust und Laune haben? Nö. Muss ich nicht und habe ich auch nicht. Zu denken, dass immer alles Spaß machen muss, macht die Probleme. Also gehe ich heute einfach. Und gehe und gehe.

Versteckt im Nirgendwo hinter Büschen und Sträuchern eine wildromantische Gîte d’Etape.

Ein Franzose lädt ein zur Pause – man soll sein Angebot auf jeden Fall nicht verpassen, so auffällig wie er das gestaltet hat (und ruft einem sein Angebot noch hinterher). Geschäftstüchtig, könnte man sagen 😉

Mehr Wege …

… und noch mehr 😅

Um 13:45 Uhr erreiche ich Limogne.

Nach 19 km mache ich dort erstmal Pause – und ich wollte nur eine Kleinigkeit. „Not small“, sagt der Mann beim Servieren nur und zwinkert. Aha. Ich sehe wohl ausgehungert aus, was ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen kann 🤔🤭

Ja und trotz all der Langeweile oder vielleicht gerade deshalb kommen mir heute – neben weniger zuträglichen Gedanken – auch sinnvolle. Z.B. entstand in den letzten Tagen ein gewisser Unmut, dass das Bloggen am Abend so viel Zeit einnahm, selbst wenn ich mich auf wenig Worte und mehr Bilder beschränkte. Es ganz sein zu lassen, hatte ich kurz überlegt, dann aber sofort verworfen – es fühlte sich ganz und gar nicht richtig an. Wie schon geschrieben, mache ich das insbesondere auch für mich und mir würde etwas fehlen. Da entstand eine andere Idee: bereits während des Tages in den Pausen zu schreiben. So verliere ich zwar den Vorteil des schnelleren Tippens am Laptop, das Einfügen der Bilder geht aber am Handy schneller. Also teste ich das heute mal.

Und eigentlich wollte ich jeden Abend eine Dehneinheit machen. Bis auf einmal – am ersten Lauftag – habe ich das nicht geschafft. War halt immer zu wenig Zeit für alles 😅

Auch da fiel mir auf, dass ich am Tag doch sehr viel Zeit habe. Wieso also nicht schon in den Pausen oder mal kurz zwischendurch etwas dehnen? So mache ich es heute. Läuft soweit ganz gut. Mal sehen, ob es sich etabliert…

Nach einem inspirierenden Gespräch mit einer Freundin geht es mir schon wesentlich besser. Wenn ich mir gerade selbst nicht die erforderliche Empathie und Verständnis entgegen bringen kann, hilft der gütige Blick und die mitfühlenden Worte eines anderen Menschen. Danke 🙏🏼

Schon zuvor war die schlechte Stimmung durch diverse Ideen (s.o.) und schlicht dadurch, dass Zeit vergangen ist, besser. Wie die Knieschmerzen: alles ist einem ständigen Kommen und Gehen unterworfen.

Und dann ist auch die Langeweile verflogen. Deshalb hüpfe ich nun nicht vor Freude über den Weg und manche trübsinnigen Gedanken sind auch noch da, aber mein Blick weitet sich wieder:

Und nehme Blumen am Wegesrand wahr.

Erfreue mich über Gänseblümchen auf dem Weg

Und sehe wieder Schmetterlinge 🦋, die schon seit Beginn oft über den Weg flattern. Die Blauen sind besonders hübsch.

Und ich gehe und gehe.

Äußerlich hat sich nichts verändert. Und doch bin ich innerlich Fahrstuhl gefahren. Vielleicht nicht wie früher zwischen Hölle und Himmel, sondern eher vom 1. UG in das 1. OG (des mehrstöckigen Hochhauses versteht sich). Die Amplituden werden also flacher 😉

Herrschaftliche Häuser am Ortseingang von Varaire.

Hier ist Vorsicht geboten. Kurz danach komme ich an einen kleinen Markplatz und wäre um ein Haar falsch gegangen, hätte mich ein freundlicher und aufmerksamer Franzose nicht darauf hingewiesen. Am Marktplatz steht rechts erhöht ein Restaurant namens „Les Marronniers“. Direkt am Haus geht es rechts den Camino weiter. Zu unscheinbar für mich bzw. hatte ich das Hinweisschild als Aufforderung zur Einkehr im Café/Restaurant interpretiert.

Und zum Schluss kommt noch der altbekannte Bock vorbei. Ich werde bockig, will jetzt endlich ankommen. Die letzten Kilometer ziehen sich.

Um Punkt 18 Uhr bin ich dann endlich am Ziel.

Alles in allem trotz all den Aufs und Abs in mir und des Weges ist aus dem schlechten Tagesstart ein guter Tag geworden.

Vielleicht hat es schon jemand vermisst – ein Füße-hoch-Bild darf nicht fehlen 😂

Und aus anderer Perspektive:

Hahahaha

Etappe 6

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