04.06.2025 – Condom nach Éauze 0 km
Wie jetzt? 0 km? Wie geht denn das? Nun ja, dem informierten Leser wird klar sein: ich bin heute Van gefahren und nicht gepilgert.
Wie kam’s?
Es regnet heute morgen und es hat die Nacht über mindestens einmal stark gegossen. Es wird den Tag über immer wieder nass von oben kommen. Das schreckt mich tatsächlich ab.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Ehrlich gesagt laufe ich schon seit Tagen – wie soll ich es nennen? – lustlos über den Weg. Ich gehe den Camino, ja. Und das ist auch schon alles. Ich gehe. Und gehe. Und spüre keine gesteigerte Lust. Ich gehe, weil ich spüre, dass ich gehen muss. Ich will den Weg zu Ende gehen. Ja, das ist mir ein brennendes Bedürfnis. Aber ich habe gerade keine Lust dazu, keine Lust zu laufen. Entsprechend spüre ich abends meine Beine. Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich meine Beine abends spüre. Alles in meinen Beinen pulsiert. Sie zappeln vor noch angestauter Energie oder besser gesagt kommen nicht zur Ruhe, obwohl sie nun endlich ruhen dürften. Mir tun die Knochen weh, stechend, heiß ziehend. Ich ahne es schon: ‚dann hör doch auf. Wem willst du was beweisen?‘
Nach meinem gestrigen Plädoyer sollte klar sein: euch nicht 🤣 Oupsi, schon wieder so ein Seitenhieb 🤭
Sorry, ich hoffe, ich bin niemandem ernsthaft auf den Schlips getreten.
Wieso tun wir Dinge, von denen wir spüren, wir müssen sie tun – auch wenn es schwierig ist, auch wenn es schmerzt? Haben wir dafür immer eine Erklärung? Oft kriegen wir ein ‚du musst wohl unbedingt mit Gewalt und dem Gipskopf durch die Wand, auf Teufel komm raus, auf Biegen und Brechen‘ (was hat die Deutsche Sprache nicht für schöne Metaphern …. 🙂) deinen Kopf durchsetzen?! Ja und? Und wenn es so wäre? Wem geht es was an außer mir?
Richtig… Niemandem. Und eben nur mich. Doch wie gestern schon gesagt, ich führe ja ohnehin die härtesten Dialoge mit mir selbst. Und da geben sich eben Selbsterlaubnis und Selbstzweifel die Klinke in die Hand – im Sekundentakt.
Ach ja, und auch und insbesondere bezüglich meiner heutigen Entscheidung, nicht zu laufen. Normalerweise liebe ich es, bei Regen zu laufen. Das habe ich auf meinen vielen Pilgerwegen schon zig-mal gemacht – auch unter erschwerten Bedingungen.
Zum Beispiel während der letzten 3 Lauftage meines ersten Caminos regnete es einen Tag so heftig und ausdauernd, dass mein Rucksack im unteren Drittel volllief und meinen Schlafsack in ein Wasserbett verwandelte. Außerdem saugten sich meine Lederwanderschuhe derart voll, dass sie 3 Tage zum Trocknen brauchten. Egal. Mir war es egal. Naja, gut, vielleicht nicht egal, aber ich lief auch in nassen Schuhen und der Schlafsack wanderte in den Trockner und ich konnte nachts dennoch warm und gemütlich liegen.
Etliche Male bin ich schon im Poncho über den Weg geschlurft und habe sogar einmal unter ihm pausiert, weil kein trockenes Plätzchen zu finden war. Das war irgendwie abenteuerlich.
Und sicher war ich an diesen Tagen auch mal genervt vom vielen Regen. Doch zu einer Pilger-Verweigerung hat das noch nie geführt. Meist liebe ich die klare, feuchte Luft, weil sie auch für einen klaren Kopf sorgt.
Einmal hatte mich der Regen allerdings schon zur Kapitulation gebracht: als ich den Camino Aragonés gelaufen bin und ich am letzten (!!) Lauftag 8 km über matschige Wege ging, weil es in der Nacht heftig geregnet hatte. Nach diesen 8 km war ich so fertig vom ständigen Matsch an meinen Schuhe, der wie Beton festbappte und sich mit jedem Schritt zu einer noch festeren Masse verdichtete und somit für schwere Boots sorgte, dass ich im nächsten Ort für die Nacht Pause machen wollte. Doch leider hatte die dortige Herberge zu. Ich lief also weiter, nur um mir wenige Kilometer später ein Taxi zu rufen, das mich dann direkt vor die nächste Herberge fuhr. Ich konnte nicht mehr. Der Matsch hatte mich kleingekriegt.
Und so ist es auch dieses Mal. Mich schreckt es null im Regen und Poncho loszumarschieren. Doch beim Gedanken an erneut matschige, schlüpfrige und schmierige Wege schwindet meine Lust, die ich ohnehin morgens gerade sehr motivieren muss, auf ein nicht mehr spürbares Maß. Deshalb entscheide ich mich – nicht ohne mit mir zu ringen – mir heute eine außerordentliche Laufpause zu verpassen. Und mehr noch: ich überspringe diese Etappe ‚einfach‘. Hahahaha, einfach. Das ich nicht lache. Dieser Ringkampf ist noch nicht beendet und wird vermutlich über die nächsten Tage hinweg immer wieder aufflammen. Ich habe eine Etappe übersprungen – nicht nur um ein paar Kilometer gemogelt (gemogelt? Aha), sondern eine ganze Etappe ausgelassen!! So oder so ähnlich hallt es immer wieder in meinem Kopf. Und jetzt kommt abschnittsweise sogar die Sonne raus. Hätte ich nicht doch……?
So gesehen eine wunderbare Erfahrung für mich, etwas nicht „perfekt zu Ende zu bringen“ 😉 Eben halt nicht auf Biegen und Brechen, ganz unperfekt.
Morgen ist ohnehin Pausentag, weil ich wieder arbeite und am Freitag soll es planmäßig weitergehen.
Ich darf überspringen. Ja, ich darf. Eben genau, wem zum Kuckuck will ich denn was beweisen? Worum geht es denn hier? Ums reine Laufen ohnehin schon lange nicht mehr.
Genau an dieser Stelle springt mich eine Email an, die ich schon länger in meinem Postfach auf ‚will ich noch lesen‘ markiert hatte. Hier geht es um eine chronisch erkrankte Frau, die trotz künstlichem Darmausgang den Jakobsweg lief. Und nicht zuletzt ihre Geschichte erinnerte mich nochmals eindringlich daran, warum ich das alles mal begonnen habe, warum ich das nach wie vor tue, warum ich darüber blogge und warum ich mich hierüber, trotz meiner gestrigen Mail, immer noch so offen mitteile.
Wenn es dich interessiert: Laureens Geschichte
Abschließend habe ich meine dritte Woche auf der Via Podiensis auch wieder als Video-Zusammenschnitt verfilmt:
Jeden Tag ein paar Minuten, damit du hautnaher erlebst, wie es ist, durch Frankreich zu pilgern.
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