Auch Altbewährtes darf sich wandeln

von Katja Härle

21. Mai 2025

21.05.2025 – Estaing nach Golinhac 15 km

 

Endlich wieder zurück auf dem Weg. Seit Oktober 2023 war ich nicht mehr Pilgern.
Dabei ist Pilgern meine Leidenschaft. Mit mir alleine durch die Natur gehen, mein Tempo, meine Gedanken, meine innere Welt, mich einlassen – soweit es eben geht – auf das Leben, auf den Lebensweg. Doch wie schaut es mit dem „Ich und die anderen“ aus? Meist berichte ich davon, dass ich – sobald ich auf Menschen treffe – in gewisse Nöte komme: mal sind sie mir zu viel, zu laut, zu hektisch, zu aufdringlich, zu geschwätzig, einfach zu viel Mensch. Hahaha. Und das, obwohl ich mit Menschen arbeite. Ich habe viele KlientInnen, die in irgendeiner Weise wegen Schwierigkeiten mit „anderen“ in Therapie kommen. Und ich? Ja, ich habe auch meine Schwierigkeiten mit Kontakt zu anderen Menschen. Das ist wohl allzu menschlich. Eben dann spüren wir, spüre ich, wo ich noch meine kleinen und größeren Themen und Macken habe, wo ich unsicher und verletzlich bin, wo ich noch nicht ganz rund laufe im Kontakt. Pilgern ist in gewisser Hinsicht also doch auch Flucht. Auf den Weg, in die Natur und in das Alleinsein zu flüchten, um die Ruhe mit mir genießen und mich auftanken zu können. Nichts Verwerfliches, eben einfach meine Art der inneren Einkehr. So viel zu dem, das allzu bekannt und mir nichts Neues ist.

Doch dieses Mal soll es anders sein. Denn, ich pilgere zwar prinzipiell alleine, allerdings ist mein Partner Frank und unser jüngstes ‚Familienmitglied‘ – Hannybal – in Form eines zum Wohnmobil ausgebauten Vans mit dabei. Dabei arbeitet Frank quasi im Home-Office und fährt jeden Tag meine ganz persönliche Pilgerherberge um eine Etappe weiter. Morgens trennen sich also unsere Wege – ich laufe, Frank verdient Geld – und abends treffen wir wieder aufeinander. Wenn man so will, kommen wir aus unterschiedlichen Welten und sind trotzdem nicht gänzlich getrennt.
Die Idee zu dieser Ménage à trois wurde geboren, als wir uns vor ca. 6 Wochen zum Kauf von Hannybal entschieden haben. Mit einem Mal – ohne langes Selbstausbauen – mit einem Wohnmobil gesegnet, waren schnell Pläne geboren, wie wir diesen nun fleißig einsetzen und dabei auf Tauglichkeit für längere Reisen testen könnten. Die Aussicht darauf, dieses Jahr noch pilgern gehen und damit nach 8 Jahren meinen Jakobsweg finalisieren zu können, begeisterte mich. Im September 2017 machte ich mich das erste Mal auf einen Weg gen Santiago de Compostela. Ich pilgerte 5 Wochen von St-Jean-Pied-de-Port an den Atlantik. Fast 1000 km. Damals, als ich diesen Weg startete, wohnte ich in München. In 2019 habe ich die Wegstrecke von München zum Bodensee zurückgelegt, dann 2023 im Mai erst vom Bodensee durch die Schweiz bis Genf und gleich im Juli noch das Teilstück von Genf bis Estaing über Le Puy-en-Velay. Wenn alles gut läuft, schaffe ich die restlichen gut 590 km von Estaing bis zum ehemaligen Startpunkt in St-Jean-Pied-de-Port in den kommenden 4 Wochen.

Mir ist durch Hannybal und Frank dieses Mal prinzipiell das Thema Unterkunftssuche genommen, auch wenn wir jeweils einen Stellplatz oder Campingplatz brauchen. Doch das ist per se deutlich weniger problematisch, da man in Frankreich quasi überall, wo nicht explizit verboten, übernachten darf. Wohl gemerkt übernachten – nicht campen. Dazu zählt das Aufbauen von Stühlen und Tischen im Freien und das Ausfahren der Markise. Können wir uns ja mal verkneifen 😉 Mir ist also das Thema genommen, ein Bett für die Nacht zu finden. Auch weiß ich, wer jede Nacht neben mir liegt und das Bett ist auch immer dasselbe. Dafür gibt es eben andere Herausforderungen: Wasserversorgung, Strom, Entsorgung Toilette, Müll usw. Rein logistische Themen, die wir sicher lösen können. Daneben wird es spannend, wie gut uns das Vanlife gefällt, wie Hannybal mit seinem Ausbaukonzept zu uns passt (bisher schaut das echt gut aus), wie gut wir beide, Frank und ich, auf so kleinem Raum miteinander harmonieren und wie gut dazu ‚Arbeiten‘ passt, denn nicht nur Frank sondern auch ich werde an 3 Tagen arbeiten. Und vor allem: ich bin nicht für mehrere Wochen ganz ‚abgeschnitten‘ und laufe ganz für mich alleine durch die Landschaft, sondern habe morgens und abends Frank um mich. Alles in allem also viel Neues. Und definitiv wenig Flucht – wenn man so will, habe ich den Alltag mit auf den Jakobsweg gebracht.

Eines merke ich schon heute beim Gehen: dass ich durch all die Neuheiten länger brauche, in Pilgerfeeling zu kommen. Wenn ich mich sonst auf den Weg mache, habe ich quasi meinen Hausstand auf dem Rücken und damit alles dabei. Jetzt muss ich mir morgens überlegen, welche Klamotten Sinn machen, packe zusätzlich Wechselwäsche ein (falls es doch kühler/ wärmer/ nasser ist), räume hin und her und bin mir dann doch nicht so sicher, ob ich nicht etwas vergessen habe (bzw. viel zu viel mit mir rumschleppe). Dann räume ich abends, wenn ich ankomme, wieder alles von rechts nach links und wieder zurück, nur um es am nächsten Morgen wieder umzuräumen. Ich glaube, das ist auch das Thema beim Vanlife. Alles sollte seinen Platz haben. Meist stellt man erst nach geraumer Zeit fest, welcher Platz für welches Ding Sinn macht (denn es geht ja nicht nur um Häufigkeit des Gebrauchs und sinnhafter Platz wegen Verwendung, sondern eben auch um Scheppern, Platzoptimiert zu verstauen etc.). Nun, das ist vielleicht nur in der Anfangsphase so.

Auf jeden Fall brauche ich Zeit, bis ich das Vanlife hinter mir gelassen und gehenden Fußes auf dem Jakobsweg ankomme. Es ist erstaunlich viel los zu dieser Jahreszeit – momentan fühlt es sich sogar so an, als wären mehr Pilger unterwegs als vor 2 Jahren im Juli/ August. Recht bald komme ich mit einem jungen Franzosen ins Gespräch. Er ist seit ca. 10 Tagen unterwegs und in Le Puy gestartet. Er geht den Weg gechillt, macht viele Pausen und läuft gemächlich. Grundsätzlich wirkt Thomas lässig und ich schätze, es gibt nur wenig, das ihn aus der Ruhe bringt. Apropos Ruhe: ich stelle heute zufällig und ganz beiläufig fest, dass ich beim Gehen so richtig zur Ruhe komme. Irgendwie absurd, oder? Ich brauche Bewegung, um ruhig zu werden. Und mir kam während des Gehens, dass es mir momentan schwer fällt, die Dinge, die ich erlebe, die ich erfahre und in mir bewege, in Worte zu fassen. Vielleicht gerade nicht zu merken und schwer zu glauben, aber ist so. Vielleicht ist es einfach so, dass die Dinge und auch die Fotos für sich sprechen 😉

In diesem Sinne: viel Spaß beim Eintauchen in meine Bilder.

Ich verlasse Estaing kurz nach 10 Uhr.

Ich setze Wegzeichen. Die Tonthaler hat eine ehemalige Teilnehmerin einer Impulswanderung selbstgetöpfert.

Viel Teerstraße, dafür gibt es oft am rechten Seitenrand einen Kies-Sand-Strich. Man sorgt für uns Pilger.

Interessante Blumen. Noch nie gesehen.

Aussichten – wer hochsteigt, kann weit blicken 🙂

Weginfrastruktur – Trinkwasser, Klo und Bank. Mehr braucht ein Pilger nicht.

Offenbar doch der ein oder die andere. Netterweise hat jemand eine weitere „Notwendigkeit“ im Klo hinterlassen.

An diese Wegbeschaffenheit kann ich mich noch gut erinnern: Steine, die so groß sind, wie eine Kokosnuss. Achtsames Gehen ist angesagt.

Am Ortseingang von Golinhac lädt man uns Pilger zum Verweilen im eigenen Garten ein.

Schöner Stellplatz auf dem Campingplatz Bellevue Tourist Pole.

Die heutige Etappe war letztlich unanstrengend. Es geht zwar ein gutes Stück bergauf, allerdings die Darstellung im Outdoor entspricht nicht den Tatsachen. Nach der dortigen Abbildung hatte ich mit einer anstrengenden Bergauf-Tour gerechnet, weshalb ich den ersten Tag deutlich kürzer gehalten habe als gewöhnlich.

Das Höhenprofil im Outdoor lässt Schlimmeres vermuten. Hat sich nicht bewahrheitet.

 

 

 

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