22.05.2025 – Golinhac nach Conques 22 km
‚Das Wandern ist des Müllers Lust’…
Ja, das Lied habe ich doch tatsächlich heute auf dem Camino geträllert. Eingebettet in ‚He Yama Yo‘ und ‚We are not just skin and bones‘. Mir war heute nach Singen zumute. Zumindest zeitweise 😉
Es ist kühl heute morgen. Um genau zu sein starte ich um 8:15 Uhr bei 8 Grad und viel wärmer wurde es den ganzen Tag über nicht. Erst bei Ankunft in Conques ließ sich die wärmende Sonne blicken.
Als ich 2 Stunden früher als gestern starte, komme ich mir erst ganz schön einsam auf dem Jakobsweg vor. Das ist auch mal was Ungewöhnliches. Ich und mich nach anderen Pilgern sehnen?! Nun, später habe ich diesen Gedanken – wenn man so will – schon fast bereut. Denn nach ca. einer Stunde habe ich die ersten Pilger überholt und dann sie wieder mich (beim Pausieren) und plötzlich noch 15 weitere. Wo kamen die denn so schnell her? Auf jeden Fall bin ich danach nur noch selten alleine auf dem Weg. D.h. ich erblicke immer vor mir oder hinter mir weitere Pilger. Anfangs finde ich das sogar schön, dann rutsche ich mehr und mehr in meine alte Stimmung, andere Menschen auf dem Jakobsweg eher aus dem Weg gehen zu wollen.
Da ist es wieder: das ‚Ich und andere‘. Heute durchfährt es mich immer wieder, was wohl ihr, die ihr das lest, von mir denkt. Ich, die Therapeutin, die andere Menschen scheut. Letztlich stimmt das und auch wieder nicht. Jede/r kennt es wohl, die Sehnsucht nach Verbindung und Kontakt und dann gleichzeitig die Erfahrung, enttäuscht zu sein, verletzt oder zurückgestoßen zu werden. Doch genau in Letzterem liegt das eigentliche Problem. Heute spreche ich kurz mit einem Paar aus der Schweiz, die seit 2. April von Konstanz unterwegs sind und es bis nach Santiago de Compostela schaffen wollen. Ich frage sie nach ihrem heutigen Ziel – sie übernachten ebenfalls in Conques – und werde kurz nach der Antwort von ihm darauf hingewiesen, dass sie langsamer laufen und ihr eigenes Tempo hätten und bedeutet mir dadurch, weiterzulaufen. Gespräch beendet, nach gerade mal 2-3 Minuten. Etwas pikiert laufe ich weiter. Es arbeitet in mir. Merkwürdig, denke ich, bisher war ich es oft, die klar machte – wenngleich auch weniger durch Worte – dass ich alleine laufen wollte. Jetzt habe ich eine solche Ansage erhalten. War ich zu neugierig? Zu gesprächig? Zu „anhänglich“? Ich muss ein ‚zu‘ gewesen sein, oder? Stopp, Katja. Das ist jetzt dein Film. Ja, vielleicht warst du ein zu, nämlich ein zu schnell. Ich bin neben dem Paar hergegangen, und ich weiß ja, wie das läuft: ruckzuck passt man das eigene Tempo an und merkt erst nach geraumer Zeit, dass die Geschwindigkeit vielleicht gar nicht gut für einen ist. Dass ich gleich in viel persönlichere Zu’s eingestiegen bin, ist mein Film. Bin ich zu viel?
Und da ist sie wieder, die Frage, was wohl meine Leserschaft von mir denkt, wenn ich mich so selbstoffenbare? Mit dieser Frage ist verbunden, dass ich manchmal den Anschein gewinne, die landläufige Meinung ist, dass Therapeuten doch bitte mit ihren Themen durch sein sollen, bevor sie mit anderen arbeiten. Denkt das wirklich jemand? Für mich persönlich ist es eher erleichternd, Nähe und Verbundenheit schaffend, wenn ein Therapeut oder Coach zeigt, dass er auch noch seine Themen hat. Ein Bewusstsein für die eigenen Themen sollte da sein (damit es nicht zu ungewollten und unerkannten Verstrickungen beim Therapieren kommt); letzten Endes sage ich mir in solchen Momenten wie mit dem Schweizer Paar genau dieselben Dinge wie meinen Klienten.
So werde ich zu meinem eigenen Klienten und lege mich selbst auf die Couch (obwohl ich nicht so arbeite, aber mit dem Bild kann einfach jeder gleich was anfangen, oder? 😉
Der Camino ist eine Art Therapie. Das war es schon immer für mich. Ich durchlaufe meine Themen einmal auf Klientenseite und irgendwann schwinge ich mich rüber auf die Therapeutenseite, blicke mir selbst ins Gesicht und ins Herz und biete mir den ein oder anderen Perspektivenwechsel an.
So laufe ich heute munter hoch und viel runter (vor allem zum Schluss), kriege eine ordentliche Dusche von oben, bin beschwingt und manchmal ziemlich genervt, mein rechtes Knie zwickt ab und an, am Ende des Tages spüre ich ganz schön schwere Glieder. Alles wechselt sich ab, nichts bleibt für immer. Wenn ich es schaffe, mich einzulassen, auf das, was und wie es ist, und es wieder gehen lasse, wenn es vorbei ist, nichts weg wünsche, nichts herbei sehne, ruckelt’s weniger im Leben. Das lehrt mich vor allem mein Knie heute. Es zwickt. Na und? Dann guck ich, was ich machen kann, dass es meinem Knie besser geht. Vielleicht wird es dadurch weniger, vielleicht auch nicht. Wenn es weiter zwickt, zwickt’s eben weiter. Und irgendwann merke ich, dass es gar nicht mehr zwickt. Gegen Ende zwickt’s wieder. Und so zwickt’s mal, und mal zwickt’s nicht. Das wäre nun auch nicht anders gewesen, hätte ich mich darüber aufgeregt. Aber ich hätte ein weiteres Problem gehabt, das mir die Laune verdorben hätte: meinen Ärger über’s Zwicken. Ich hab’s heute einfach mal gelassen.
Mal gucken, wie es so die nächsten Tage läuft.
Estaing am Morgen.
Ich bin alleine auf dem Weg.
Kleine Frühstückspause.
Da holen mich Pilger ein.
Es werden immer mehr. Sogar mit Pferd und Hund unterwegs – Respekt.
Manchmal ist der Weg heute stark bewachsen. Nach dem Regenguss sind Hose und Schuhe schnell nass. Egal. Dann laufe ich halte mit nassen Schuhen.
Der Wind bläst sie schnell wieder trocken.
Auf dem Weg nach Conques…
…geht’s steil und steinig bergab. Ich komme mir vor, wie im Dschungel.
Conques ist um 14:30 Uhr erreicht.
Zauberhaftes, mittelalterliches Conques.
Etappe 2
Und noch abschließend – unser Stellplatz auf dem Campingplatz von Conques (ist eher einer der weniger Guten: laut da an Straße, unflexibel zwecks Abfahrtszeit obwohl wenig los ist, unsaubere Waschmöglichkeiten, die schönsten Stellplätze bleiben leer 🤷♀️)